Flammschutzmittel in Bauprodukten
IBO Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie GmbH,
Dr. Caroline Thurner, Mag. Hildegund Figl, Wien im November 2015, überarbeitet Mai 2017
Viele Kunststoffe sind leicht zu entzünden. Beispielsweise geht ein Fernseher ohne schützende Additive nach acht Minuten in Flammen auf. Etwa 600 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland durch Wohnungsbrände (Döring 2013). Brennbare Materialien werden daher für eine Reihe von Anwendungen mit Flammschutzmitteln (FSM) ausgerüstet. Durch FSM lassen sich Brände entweder ganz verhindern oder es bleibt mehr Zeit zur Flucht und Rettung. Der Verminderung des Brandrisikos steht aber eine mögliche Gefährdung der Gesundheit des Menschen und der Umwelt gegenüber.
FSM werden in Konsumgütern wie Elektrogeräten, Textilien, Polstermöbeln, Automobilinneneinrichtungen oder Baustoffen eingesetzt. Das größte Anwendungsgebiet sind Baumaterialien, hier insbesondere Dämmstoffe. Seit Kabel mit Kunststoffen isoliert werden und Rohre aus Kunststoffen zunehmend Produkte aus Metall oder Keramik ersetzen, ist auch hier ein erhöhter Einsatz von Flammschutzmitteln zu beobachten.
Viele Flammschutzmittel sind gesundheitlich und/oder ökologisch bedenklich. Für den Anwender ist es letztendlich unwichtig, aus welchen Produkten die Flammschutzmittel stammen, für ihn zählt die Gesamtexposition. Zahlreiche Studien belegen, dass vor allem halogenierte Kohlenwasserstoffe inzwischen alle Umweltkompartimente durchdringen und im Hausstaub, im menschlichen Blutserum und sogar in der Muttermilch in steigenden Konzentrationen zu finden sind. Ebenso reichern sie sich an der Oberfläche von Mikroplastik an.
Weltweit wurden 2013 laut einer Marktstudie von Ceresana zwei Millionen Tonnen Flammschutzmittel verbraucht. Dieser Studie zufolge ist der größte Verbraucher Nordamerika, gefolgt von Europa. China verbraucht in etwa ein Viertel der weltweit produzierten Flammschutzmittel.
Rund 40% des industriell eingesetzten Broms wird für die Herstellung von FSM eingesetzt. Es herrscht eine unüberschaubare Vielfalt von FSM am Markt, unterschiedlichste Ansätze in der Nomenklatur sorgen für zusätzliche Verwirrung; vollständige Informationen, wo welche FSM tatsächlich eingesetzt werden, fehlen. Der Publikation „A novel abbreviation standard for organobromine, organochlorine and organophosphorus flame retardants and some characteristics of the chemicals" (Bergman et al, 2012) kann ein ungefährer Überblick über die am Markt existierenden FSM entnommen werden. Ausgiebige Informationen sind auch in der Studie des Umweltbundesamtes (2001) „Erarbeitung von Bewertungsgrundlagen zur Substitution umweltrelevanter Flammschutzmittel. Band I: Ergebnisse und zusammenfassende Übersicht zur Substitution umweltrelevanter Flammschutzmittel"nachzulesen.
Eine Reihe von Flammschutzmitteln sind besonders besorgniserregende Substanzen (SVHC). Die Bedeutung von SVHCs im Bereich von Baumaterialien und die Problematik für Mensch und Umwelt soll hier ausführlich am Beispiel HBCD und exemplarisch anhand der Flammschutzmittel TCEP, DecaBDE, SCCP und Borate erläutert werden.
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Auszug aus:
SVHC am Beispiel von Flammschutzmitteln in Bauprodukten (in WECOBIS: "Flammschutzmittel in Bauprodukten"), IBO Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie GmbH, Dr. Caroline Thurner, Mag. Hildegund Figl, erstellt im Auftrag der Bayerischen Architektenkammer, 2015
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
... siehe oben
Rechtliche Grundlagen der Europäischen Chemikalienpolitik
Erläuterung der wichtigsten Begriffe der europäischen Chemikalienpolitik
- REACH - Die europäische Chemikalienverordnung
- ECHA - Die Europäische Chemikalien Agentur
- GHS - Das global harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien der Vereinten Nationen
- CLP - Die Verordnung, die die Umsetzung des GHS in Europa regelt
- POP - Stockholmkonvention - Ein internationales Übereinkommen, das zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt die Produktion, Verwendung und Freisetzung von persistenten (hartnäckigen) organischen Schadstoffen (POP, persistent organic pollutants) weltweit einschränken oder, wenn nötig, sogar beenden soll.
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Besonders besorgniserregende Stoffe - substances of very high concern (SVHC)
Was sind besonders besorgniserregende Stoffe (SVHC) und welche Folgen hat die Einstufung eines Stoffes als SVHC?
SVHCs sind besonders besorgniserregende Stoffe (substances of very high concern), die am europäischen Markt nach und nach durch andere, weniger gefährliche Stoffe ersetzt werden sollen.
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Flammschutzmittel mit besonders besorgniserregenden Eigenschaften in Bauprodukten
Ausführliche Erläuterungen zu Einsatzbereich, Charakterisierung, chemischen Eigenschaften und rechtlicher Einstufung
- Hexabromcyclodekan (HBCDD oder meistens verkürzt HBCD)
HBCD fand über Jahrzehnte hinweg breite Anwendung als Brandschutzmittel in Kunststoffen aus Styrol und in expandierten und extrudierten Polystyrol-Hartschäumen (EPS und XPS), HIPS-Gehäusen, Textilien und Polstermöbeln. ... Obwohl HBCD bereits 2013 von der Stockholmkonvention in die Liste der POPs aufgenommen wurde, war in Europa bis zum 21.8.2015 die Herstellung und Verwendung uneingeschränkt erlaubt. Seither darf HBCD nur noch in expandierten Polystyrol-Hartschäumen (EPS) zur Wärmedämmung von Gebäuden verwendet werden und nur dann, wenn der Hersteller eine vorläufige Zulassung der Europäischen Kommission bis 21.8.2019 erwirkt hat.
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- Tris(2-chlorehyl)phosphat (TCEP)
TCEP wird sowohl als Weichmacher und Viskositätsregulator als auch als Flammschutzmittel in Schäumen, Polyestern und anderen Polymeren, wie Polyurethanen, PVC und Poliisocyanuraten eingesetzt. Diese Polymere werden in so unterschiedlichen und alle Lebensbereiche umfassenden Produkten verwendet wie Textilien, Pölstern, Matratzen, Tapeten, Teppichen, Autos, Möbeln, Lacken, Wärmedämmungen, Dichtungsschäumen, flammschützenden Beschichtungen. ... Seit 21.8.2015 darf TCEP in der EU ausnahmslos nicht mehr produziert und in Umlauf gebracht werden.
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- Decabromdiphenylether (DecaBDE)
Decabromdiphenylether (DecaBDE) wird als Flammschutzmittel in Kunststoffen wie Polyethylen, Polypropylen, ungesättigten Estern und Polybutylenterephthalat für elektronische Geräte, Fahrzeuge, Polstermöbel und in der Bauchemie eingesetzt. ... Eine weitestgehende Beschränkung der Produktion und Verwendung von DecaBDE in der EU steht derzeit zur Diskussion.
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- Kurzkettige Chlorparaffine (short chained chlorinated paraffins SCCP)
SCCP (Short Chained Chlorinated Paraffins) – kurzkettige Chlorparaffine - werden auch chlorierte Paraffine genannt. Sie werden hauptsächlich in Kunststoffen als Weichmacher oder wegen ihrer flammhemmenden Wirkung eingesetzt. Sie werden Fugendichtmassen, Gummi oder Papier zugegeben und als Fettungsmittel in Leder und Pelz eingesetzt. ... SCCP können vermutlich Krebs erzeugen (Carc. 2, H351) und sind sehr giftig für Wasserorganismen (Aquatic Acute 1, H400; Aquatic Acute 2, H401). 2008 wurden SCCP aufgrund ihrer Eigenschaften als PBT und vPvB als SVHC eingestuft und in die Kandidatenliste für eine Zulassung aufgenommen. Über die Aufnahme von SCCP als POP in den Anhang A, B oder C der Stockholmkonvention konnte bisher noch keine endgültige Entscheidung getroffen werden.
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- Borate
Als Borate bezeichnet man die Salze aber auch die Ester der Borsäure. ... 2010 wurden Borsäure und Borax von der europäischen Kommission wegen ihrer reproduktionstoxischen (fortpflanzungsgefährdenden) Wirkung als SVHC eingestuft. ... Borsalze werden in einigen Dämmstoffen aus Pflanzen- und Zellulosefasern eingesetzt.
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Maßnahmen im Baubereich
- Welche Bauproduktgruppen enthalten Flammschutzmittel (FSM), die als besonders besorgniserregende Stoffe (SVHC) eingestuft sind?
- Gibt es Alternativen zu den besonders besorgniserregenden FSM?
- Wie kann ich erkennen, ob ein Produkt SVHC enthält?
- Wie kann ich Produkte mit SVHC vermeiden?
- Was ist beim Recycling von Produkten mit SVHC zu beachten?
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Quellen, Literatur und Links
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