2. Grundlage der Ökobilanz

Ökobilanzen dienen grundsätzlich der Quantifizierung des Ressourceneinsatzes und der Umweltwirkungen von Produkten oder Dienstleistungen über deren Lebenszyklus. Werden Ökobilanzen berechnet, heißt das nicht zwangsläufig, dass das Objekt der Ökobilanz nachhaltig ist. Es bedeutet lediglich, dass die Umweltauswirkungen eines Produkts oder einer Dienstleistung über deren Lebenszyklus hinweg ermittelt und berechnet wurden. Die Ergebnisse einer Ökobilanz dienen dann als Grundlage für einen Vergleich von Produkten oder Dienstleistungen. Erst der direkte Vergleich ermöglicht es, eine Aussage darüber zu treffen, welches Produkt z.B. weniger Treibhausgase emittiert. Dabei ist zu beachten, dass Ökobilanzen an sich kein Zertifikat darstellen, jedoch Teil einer Gebäude-Zertifizierung sein können. Für Gebäude gibt es Ökobilanzen auf verschiedenen Ebenen, z.B. für

  • einzelne Bauprodukte (z.B. ein Dämmstoff),
  • Bauteile (z.B. ein Wärmedämmverbundsystem oder eine Vorhangfassade),
  • Prozesse (z.B. Energieerzeugung) oder
  • ganze Gebäude.

Im Folgenden werden zunächst die wichtigsten grundlegenden Begriffe einer Gebäude-Ökobilanz kurz erläutert.

2.1  Ziel einer Ökobilanz

Bevor eine Ökobilanz gerechnet wird, muss zunächst das Ziel definiert werden. Wichtig ist, dass eine klare Fragestellung vorhanden ist, auf die die Untersuchung abgestimmt wird. Beispiele für solche Fragestellungen wären: „Welcher Dämmstoff emittiert im Laufe seines Lebenszyklus am wenigsten Treibhausgas (THG)-Emissionen?“ „Welche Fassadenart benötigt für ihre Herstellung am wenigsten nicht-erneuerbare Primärenergie?“ „Welcher Energiestandard erlaubt bei diesem Gebäude eine lebenszyklusbezogene THG-Neutralität?“ Fragen wie: „Ist dieses Produkt umweltfreundlicher als ein anderes?“ „Holz oder Beton?“– sind zu wenig präzise, um sie mit einer Ökobilanz beantworten zu können, weil sich umgehend weiterführende Fragestellungen ergeben wie beispielsweise: Unter welchen zeitlichen und räumlichen Umständen (Systemgrenzen, Rahmenbedingungen)? Wo und wie werden die Produkte verwendet (Lebensdauer, Funktion)? Welche Datengrundlagen stehen für die Bilanzierung zur Verfügung?

2.2  Funktionelle Einheit

Die funktionelle Einheit beschreibt die zentrale Bezugsgröße, auf die sich die Ökobilanz bezieht, also zum Beispiel, 1 m³ Baumaterial, 1 m² beheizte Wohnfläche, 1 Gebäudenutzer, 1 Bürogebäude etc. Die errechneten Ergebnisse der Ökobilanz beziehen sich auf diese Einheit.

2.3  Systemgrenzen

Die Systemgrenze definiert sowohl den zeitlichen Betrachtungshorizont (z.B. Lebensdauer des Gebäudes, inkludierte Lebenszyklusphasen) als auch den räumlich-technischen (z.B. welche Materialien und Bauteile bilanziert werden, welche nicht).

2.4  Lebenszyklusphasen

Die Lebenszyklusphasen (Abbildung 1) unterteilen die komplette Lebensdauer des Gebäudes in einzelne Phasen, auch Module genannt. Die erste Phase stellt die Herstellungsphase (A1-A3) dar. Diese Phase bezieht sich auf die Herstellung des Produkts inklusive des notwendigen Rohstoffabbaus. Darauf folgt die Errichtungsphase (A4-A5), wobei Baustellenprozesse z.B. zur Errichtung des Gebäudes aufgeführt werden. In der Nutzungsphase (B1-B7) werden der Energiebedarf für das Gebäude und/oder der Austausch von Materialien und Bauteilen bilanziert. Nach der Nutzungsphase folgt die Entsorgungsphase (C1-C4). In dieser Phase werden alle Prozesse und Wirkungen bilanziert, die mit dem Rückbau des Gebäudes und der Entsorgung und Aufbereitung von Materialien zu tun haben. Daraus entstehende Potentiale wie z.B. Recyclingpotentiale werden in der letzten Phase (Modul D) aufgeführt.

Abbildung 1: Lebenszyklusphasen nach DIN EN 15978:2012-10

2.5  Datenbanken

Grundlagen für Gebäude-Ökobilanzen liefern Datenbanken, in denen Daten für ganze Produkte zusammengestellt sind, da eine individuelle Bilanzierung aller Prozesse, die für ein Gebäude notwendig sind, viel zu aufwendig wäre. Außerdem würden die Komplexität und die Vielzahl der Annahmen, die getroffen werden müssten, dazu führen, dass Ergebnisse kaum noch vergleichbar sind. Meistverwendet in Deutschland ist die ÖKOBAUDAT. Solche Datensätze sind Momentaufnahmen, die den Durchschnitt von produkt- und dienstleistungsbezogenen Produktions-, Nutzungs- und Entsorgungsprozessen abbilden. Diese können aufgrund technischer und politischer Änderungen dynamischen Schwankungen unterliegen, die in den Datensätzen nicht abgebildet werden. Außerdem gibt es grundsätzlich verschiedene Arten von Datensätzen, wie beispielweise Durchschnittsdatensätze (z.B. Mittelwert für ein Produkt in Deutschland) und spezifische Datensätze (z.B. für ein Material eines bestimmten Herstellers).

2.6 Ergebnisdarstellung

Die Ergebnisse von Ökobilanzen gliedern sich in viele Kategorien: Hier gibt es zunächst die „Inputs“, d.h. Materialien und Energie, wie zum Beispiel der nicht erneuerbare Primärenergiebedarf (PENRT) in MJ. Oft wird diese Kategorie dargestellt, wenn es um den Ressourceneinsatz geht. Zweite wichtige Säule sind die Umweltwirkungen. In der aktuellen Diskussion ist hier in den meisten Fällen vom globalen Erwärmungspotential (global warming potential = GWP), gemessen in THG Äquivalenten, die Rede. Output-Kategorien (z.B. radioaktiver Abfall) kommen in Ergebnisdarstellungen selten vor.
(siehe WECOBIS / Umweltindikatoren)


Abbildung 2: Inputs - Outputs – Umweltwirkungen (eigene Darstellung)

2.7  Grenzen von Ökobilanzen

Besonders wichtig ist zu verstehen, dass die Ökobilanz nicht die gesamte Nachhaltigkeit, sondern lediglich die benötigten Energie- und Stoffströme und die damit einhergehenden möglichen Umweltwirkungen darstellt. In Deutschland sind sogenannte Mid-Point-Indikatoren üblich, also zum Beispiel der potenzielle Beitrag zum Treibhauseffekt oder zur Versauerung von Böden und Gewässern. Das heißt, die globalen Auswirkungen beispielsweise auf Ökosysteme oder auf die menschliche Gesundheit werden bislang noch nicht dargestellt. Für weitere Nachhaltigkeitskriterien gibt es darüber hinaus andere Methoden: für soziale Aspekte die sLCA (Social Life Cycle Assessment), für eine ökonomische Beurteilung die Lebenszykluskostenanalyse (LCCA = Life Cycle Cost Analysis).

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Kapitel 2. aus: "Zwischen den Zeilen von Ökobilanzen"; Patricia Schneider-Marin Dipl.-Ing. Architektin, Hannes Harter, M.Sc.; Michael Vollmer, M.Sc.; Trondheim, München, 2021