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2. Welche Rolle spielen Baustoffe im Gesamtlebenszyklus von Gebäuden?

Die oben erwähnte Zahl des Treibhausgasausstoßes setzt sich wie folgt zusammen:

  • 11 % der Treibhausgase werden in der Herstellung von Baustoffen und für die Konstruktion von Gebäuden ausgestoßen,
  • 28 % im Gebäudebetrieb (Global Alliance for Buildings and Construction, International Energy Agency and the United Nations Environment Programme 2019).

Um das einzuordnen, sehen wir uns den Lebenszyklus von Gebäuden von der Wiege bis zur Bahre an. Dieser ist in verschiedenen Normen festgelegt, zum Beispiel in der DIN 15978 (Norm DIN EN 15978:2012-10), die ihn in drei Hauptphasen einteilt: Herstellung und Errichtung, Nutzung, und Entsorgung (Abbildung 1). Dazu kommt noch die Phase D: Vorteile und Belastungen außerhalb der Systemgrenzen.

 
Abbildung 1 / Lebenszyklusphasen nach DIN EN 15978

2.1 Energiebedarf + „graue“ Lebenszyklusphasen

Derzeit macht die Phase der Nutzung den Löwenanteil im Energieverbrauch aus, das heißt für das Heizen und Kühlen von Gebäuden wird ein Vielfaches der Energie verbraucht, die zu ihrer Errichtung notwendig ist. Wie groß dieser Anteil ist, richtet sich nach dem Energiestandard des Gebäudes und danach, wie die Nutzer mit dem Gebäude umgehen - verschwenderisch oder energiesparend. Insgesamt werden unsere Gebäude immer energieeffizienter in der Betriebsphase, seit dem neuen Gebäudeenergiegesetz sollen sie sogar „nearly zero energy buildings“ (NZEB, Nahezu Nullenergiegebäude) sein, also einen Energiebedarf nahe Null haben. Damit ist der nicht erneuerbare, also fossile (aus Öl, Gas, Kohle gedeckte), Energiebedarf gemeint. Diese Entwicklung führt dazu, dass der Energiebedarf des Gebäudebetriebs unwichtiger wird und der Energiebedarf für die Herstellung von Bauprodukten und für Bauprozesse mehr in den Fokus gerät (Abbildung 2).
Dabei sind nicht nur Herstellung und Errichtung, sondern auch der Abriss und die Entsorgung beziehungsweise die mögliche Weiternutzung von Bauteilen und Baustoffen relevant. Darüber hinaus laufen jedes Mal, wenn Teile des Gebäudes ausgetauscht werden, zum Beispiel Bodenbeläge oder Fenster, dieselben Prozesse (Ausbau und Entsorgung der alten Teile sowie Herstellung und Einbau neuer Teile) für die betroffenen Gebäudeteile ab, sodass Energie verbraucht wird. Wenn ein Gebäude also im Betrieb keine fossile Energie mehr verbraucht, wird die gesamte fossile Energie für solche Prozesse verbraucht.

Diese Phasen, also alle außer dem Energie- und Wasserverbrauch im Betrieb (Phasen B6 und B7), werden im Folgenden als die „grauen“ Lebenszyklusphasen bezeichnet.


Abbildung 2 / Anteil „graue“ Lebenszyklusphasen und Betriebsphase je nach Energiestandard (qualitativ) (eigene Abbildung)

2.2 Treibhausgas-Emissionen

Wenn Energie aus fossilen Quellen gewonnen wird, entstehen Emissionen, allen voran das Treibhausgas (THG) Kohlendioxid. Diese Emissionen werden in Umweltwirkungen umgerechnet, sogenannte Umweltwirkungspotenziale. Für THG entspricht das dem THG-Potenzial, ausgedrückt in kg CO2-Äquivalenten. „Äquivalente“ deswegen, da die Wirkung anderer THG (z.B. Methan) auf die Wirkung von CO2 umgerechnet wird, um alle Treibhausgase zusammenfassen zu können. Genauso wird für andere Umweltwirkungen, wie zum Beispiel das Versauerungspotenzial (kg SO2-Äq.), vorgegangen.
Der Ausstoß von THG hängt maßgeblich mit dem Verbrauch nicht erneuerbarer Energie zusammen, da bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen THG frei werden, die vor Jahrmillionen der Atmosphäre entnommen und unter vielerlei Erdschichten eingelagert wurden. Allerdings gibt es darüber hinaus weitere THG-Quellen.  Bei der Zementherstellung beispielsweise wird ein relevanter Anteil an CO2 durch chemische Reaktionen (Entsäuerung des Kalksteins) emittiert.
→ WECOBIS / Baustoffe / Grundstoffe – Bindemittel / Zement, Reiter Herstellung

Dadurch und durch die Verwendung von fossilen Brennstoffen beim Zementklinkerbrand spielt die Zementherstellung eine große Rolle für den THG-Ausstoss, je nach Quelle zwischen 4% und 8% weltweit (Andrew 2018).
Analog dazu, dass mit zunehmender Energieeffizienz im Gebäudebetrieb die Bedeutung der grauen Energie steigt, steigt auch die Bedeutung der grauen THG-Emissionen, wenn immer energieeffizientere Gebäude mehr und mehr mit erneuerbarer Energie (Sonne, Umweltwärme, Wind, Biomasse) versorgt werden. Insgesamt sollten damit der Gesamtenergiebedarf und der Gesamt-THG-Ausstoß sinken, der Anteil der grauen Lebenszyklusphasen aber steige.


Abbildung 3 / Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von Gebäuden (eigene Darstellung)

2.3 Material-Ressourcen

Neben der Ressource Energie wird in den grauen Lebenszyklusphasen eine große Menge an Materialien verbraucht. Obwohl viele der in Gebäuden verbauten Rohstoffe, wie zum Beispiel Sand, als quasi unerschöpflich verfügbar gelten, hat sich besonders in den letzten Jahren gezeigt, dass dem nicht so ist und der Abbau von Rohstoffen zunehmend zu Umweltproblemen führt.
→ Bundesamt für Naturschutz / Belastungen im Meer / Sand und Kiesabbau

Unter Berücksichtigung der Ressourcenproblematik, gewinnt die Suffizienz, also der sparsame Umgang mit Ressourcen, mehr an Bedeutung. Bei der Konzeption und Detaillierung von Gebäuden sind unter diesem Aspekt die Materialien besonders wichtig, die in großer Menge vorkommen. Das sind besonders das Tragwerksmaterial (Stahlbeton, Stahl, Holz, Mauerwerk), und Verkleidungen, wie Gipskarton oder Fassadenplatten. Möglichkeiten, Ressourcen zu schonen, bieten Recyclingbaustoffe (z.B. → WECOBIS / Grundstoffe / rezyklierte Gesteinskörnungen) oder Stahl (→ WECOBIS / Metalle / Stahl) und die Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen, wenn diese aus nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft stammen.
Als knapp geltende Rohstoffe, wie Seltene Erden, bestimmte Metalle (z.B. Kupfer) oder Elemente (z.B. Indium, Lithium), finden sich in Gebäuden hauptsächlich in der Gebäudetechnik, zum Beispiel in Anlagen zur Solarenergiegewinnung. Im Gegensatz zu den Baustoffen für die Konstruktion, die in großer Menge gebraucht werden, werden hier verhältnismäßig kleine Mengen eingesetzt. Weil diese aus Ressourcensicht sehr wertvollen Stoffe investiert werden, um im Betrieb fossile Energie und damit THG-Emissionen zu sparen, kann man also auch hier von einer Verlagerung von der Betriebsphase in Richtung graue Phasen sprechen.
Ein weiteres Indiz dafür, wie hoch der Materialverbrauch der Bauindustrie ist, ist das Abfallaufkommen: ca. 57% der Abfälle in Deutschland sind Abbruchmaterial (→ z.B. Umweltbundesamt / Bau-, Abbruch-, Gewerbe- und Bergbauabfälle). Davon wird zwar viel verwertet, allerdings wenig im Hochbau. Gipsabfälle beispielsweise werden zur Verfüllung im Bergbau und im Deponiebau verwertet, statt zu neuen Baustoffen verarbeitet zu werden (Quelle: Umweltbundesamt / Bauabfälle auf Gipsbasis und Baustellenabfälle). 

2.4 Quo Vadis?

Im Lebenszyklus verlagert sich also die Suche nach Effizienzsteigerung und Minimierung von Energie-, Ressourcenbedarf und THG-Emissionen auf die grauen Phasen des Gebäudes und damit auf Baumaterialien und Gebäudetechnik. Die gute Nachricht ist dabei, dass es sich aus der Perspektive des Energie- und Ressourcenverbrauchs durchaus lohnt, in die grauen Phasen zu investieren, um im Gebäudebetrieb Einsparungen zu erreichen. Obwohl diese Phasen bei neuen Gebäuden einen hohen Anteil am Gesamtverbrauch haben, sind der Verbrauch und die Emissionen insgesamt wesentlich niedriger als bei Gebäuden mit veralteten Energiestandards. (Abbildung 2)

→ weiter zu Kapitel 3: Welches Klimaschutz-Potenzial bieten Gebäude?

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Kapitel 2. aus: "Baustoffe und Klimaschutz"; Patricia Schneider-Marin, Dipl.-Ing. Architektin; Hannes Harter, M.Sc.; Michael Vollmer, M.Sc.; Trondheim, München, 2021