Symbol Lupe für die Suche

5. Klimaneutrale Gebäude - Klimaplus Gebäude?

Auf Gebäudeebene ist es mittelfristig das Ziel, klimaneutral zu werden oder über den Lebenszyklus hinweg sogar THG-Emissionen gut schreiben zu können. Das kann derzeit nur mit Hilfe von Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen erreicht werden.

5.1 Bedeutung von nachwachsenden Rohstoffen

Um sich auch in den grauen Lebenszyklusphasen in Richtung klimaneutrales Gebäude zu bewegen, besteht zunächst die Möglichkeit, die Gebäude selbst als CO2 Speicher zu nutzen, indem nachwachsende Rohstoffe verwendet werden, die durch Photosynthese Kohlenstoff gebunden haben. So kann die Baustoffwahl THG-Emissionen direkt vermeiden und CO2 einlagern. Die Treibhausgase entweichen aber wieder, sobald die Materialien entsorgt oder verwertet werden, so dass eine Verlängerung des Lebenszyklus durch Wiederverwendung oder Verwertung besonders wichtig wird. Derzeitige Ökobilanzen nehmen an, dass Holz und andere brennbare Stoffe am Ende des Lebenszyklus von Gebäuden zur Energiegewinnung verbrannt werden. Dadurch entstehen CO2-Emissionen in der Phase C3 (s. Abbildung 5), aber auch Gutschriften in der Phase D für die entsprechende Energiegewinnung.

5.2 Potenziale von Weiter- und Wiederverwendung

Der Abbruch von Gebäuden und die Entsorgung von Baumaterial ist weniger ein Problem der THG-Emission, da diese Lebenszyklusphasen bei mineralischen Baustoffen nur einen geringen Anteil an den Lebenszyklus-Emissionen haben. Vielmehr geht es hier um das Abfallaufkommen, das Deponiekapazitäten in Anspruch nimmt und wertvolle Ressourcen verschwendet. Die Wiederverwendung von Rohstoffen spart fast in jedem Fall THG, da dadurch weniger neue Baustoffe produziert werden müssen. Besonders hoch fällt die Einsparung für emissionsintensive Materialien, wie z.B. Stahl, aus.
Anders verhält es sich mit Holz und Kunststoffen, für die eine Verbrennung als Verwertungsweg angesetzt wird. Dabei fallen hohe CO2-Emissionen in der Lebensendphase an, die durch Weiterverwendung und Recycling hinausgezögert werden können. Die Hierarchie „Reduce-Reuse-Recycle“ gilt also auch für die Emissionseinsparung.

5.3 Möglichkeiten der Kompensation am Gebäude

Wirklich negative CO2-Emissionen sind nur durch Photosynthese möglich, da hier CO2 und Wasser in Kohlehydrate umgewandelt werden und dabei Sauerstoff entsteht. Um also die für die Gebäudekonstruktion aufgewendeten THG-Emissionen wieder aus der Atmosphäre zu nehmen, müssten im Rahmen von Bauprojekten ausreichend Ausgleichsflächen geschaffen werden. Eine Option stellen Gründächer dar, diese binden aber nur geringe Mengen an CO2 ein. Für eine Kompensation der Gesamtemissionen müssen also meist Ausgleichsflächen außerhalb des Grundstücks herangezogen werden (s. 5.4). Dass diese in der Regel wesentlich größer sind als die Grundstücksfläche, macht deutlich, dass gebäudebezogene Ressourceneinsparungen klar gegenüber Kompensationen priorisiert werden müssen, um die Übernutzung von Ressourcen zu vermeiden. 
Wenn von klimaneutralen bzw. Klima-Plus-Gebäuden gesprochen wird, sind damit meist Gebäude gemeint, die in der Betriebsphase THG-emissionsfreie Energie nutzen, d.h. sie sind in der Betriebsphase klimaneutral. Wird zusätzliche Energie, z. B. durch PV-Anlagen, am Gebäude erzeugt, dann können durch deren Export bilanziell die grauen THG-Emissionen ausgeglichen werden. Es werden hierbei Gutschriften für die Differenz aus den THG-Emissionen des allgemeinen Strommixes und der THG-emissionsfreien Energieerzeugung angerechnet. Dabei ist zu beachten, dass es sich hinsichtlich der THG-Emissionen um keine Kompensation handelt, sondern rein rechnerisch die Verbesserung gegenüber einem mehr oder weniger emissionsintensiven Strommix gegengerechnet wird, während tatsächlich zwar keine THG-Emissionen verursacht werden, aber auch keine THG umgewandelt werden. Eine Kompensation im Sinne der gegenseitigen Aufhebung von Wirkung und Ursache könnte hierbei nur auf ökologischer Ebene (also  -z.B. durch Aufforstung, s.o.) stattfinden. Außerdem gilt: Je mehr erneuerbare Energie im Strommix ist, desto weniger THG-Emissionen können gutgeschrieben werden, obwohl gerade für einen emissionsarmen Strommix die Erzeugung am Gebäude und die Einspeisung in das Netz wichtig ist und dazu motiviert werden sollte.

5.4 Kompensationsmöglichkeiten außerhalb des Gebäudes

Eine wirkungsvolle Kompensation außerhalb des Gebäudes stellt maßgeblich die Aufforstung und die Renaturierung von Ökosystemen (z. B. Moore) dar. Global gesehen bestehen noch große ungenutzte Potentiale, wie die Studie von Bastin et al. aus dem Jahre 2019 zeigt, die aber für eine Kompensation der globalen THG-Emissionen nicht ausreichen. Das heißt, dass der Gebäudesektor zunächst Emissionen minimieren muss, bevor über einen Ausgleich außerhalb des Gebäudes nachgedacht werden kann (s. auch 5.3).
Weitere Möglichkeiten bieten verschiedene Organisationen, die globale Projekte unterstützen (z. B. Solarherde) oder Aufforstung. Dabei ist es möglich die THG-Emissionen gegen einen Beitrag von derzeit 25 € pro Tonne CO2-Äq. auszugleichen, so wie zum Beispiel für Flüge oder Fahrten mit dem PKW. Auch hier handelt es sich um eine Kombination verschiedener Maßnahmen zur Vermeidung von THG-Emissionen, also ähnlich dem Strommix einer rein rechnerischen Gutschrift ohne Reduktion des THG-Gehalts in der Atmosphäre (s. 5.3). Derzeit ist das die kostengünstigste Möglichkeit, THG-Emissionen zu „kompensieren“. Dies ist vor dem Hintergrund kritisch zu sehen, dass die wirtschaftlich leicht erreichbaren Einsparungen begrenzt sind und zudem nicht beim Verursacher der Emissionen eingespart wird. Das Bauen mit nachwachsenden Materialien (also die Errichtung eines „Kohlenstoffspeichers“) wird derzeit leider mit deutlichen Mehrkosten gegenüber emissionsintensiveren Bauweisen in Verbindung gebracht, so dass die Einsparung von THG am Gebäude gegenüber Kompensationszahlungen wirtschaftlich schlechter abschneidet. Die neuesten Vorstöße auf EU-Ebene, Finanzierung mit Nachhaltigkeitskriterien zu verbinden (s. EU taxonomy), versuchen, solchen Widersprüchen zwischen wirtschaftlichen und ökologischen Kriterien entgegenzuwirken. Denn Kompensation außerhalb des Gebäudes fördert keineswegs das Bauen mit nachwachsenden und ökologischen Baustoffen und die Steigerung des Einsatzes an erneuerbaren Energien. Zudem ist anzumerken, dass die genannten Kompensationsmöglichkeiten außerhalb des Gebäudes nicht in die Systemgrenze des Gebäudes fallen und somit bspw. in Gebäudeökobilanzen nicht als gebäudebezogene Gutschriften angerechnet werden können.

Würden die vom deutschen Umweltbundesamt ermittelten Schadenskosten als Kompensationskosten angesetzt werden, dann würden die Kosten für eine Tonne CO2-Äq., je nach Gewichtung der Wohlfahrten heutiger Generationen gegenüber den Wohlfahrten künftiger Generationen, bei rund 195 € bzw. 680 € liegen (siehe → Umweltbundesamt / Methodenkonvention zur Ermittlung von Umweltkosten). Die Problematik, dass das Bauen mit nachwachsenden und ökologischen Baustoffen derzeit teurer ist als das Bauen mit emissionsintensiveren Baustoffen, kann sich somit erübrigen.

Es gibt allerdings durchaus Möglichkeiten, am Gebäude gleichzeitig THG-Emissionen und Lebenszykluskosten zu sparen, zum Beispiel Suffizienzstrategien, die Verwendung von langlebigen Oberflächen oder von Solaranlagen mit hohem Eigenverbrauch.

→ weiter zu Kapitel 6: Fazit

... oder ein anderes Kapitel des Artikels lesen → siehe Inhaltsverzeichnis + Einleitung
... oder Fachartikel als → zusammenhängenden Gesamttext lesen


Kapitel 5. aus: "Baustoffe und Klimaschutz"; Patricia Schneider-Marin, Dipl.-Ing. Architektin; Hannes Harter, M.Sc.; Michael Vollmer, M.Sc.; Trondheim, München, 2021