3. Gestaltungsspielraum

Die Ökobilanz ist ein von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusster Berechnungs- und Analyseansatz. Dabei können alle unter Punkt 1 beschriebenen Rahmenbedingungen flexibel angepasst werden und damit Einfluss auf die Ökobilanz und ihre Ergebnisse nehmen. Die folgenden Abschnitte beschreiben, inwiefern die Durchführung einer Ökobilanz und ihre Ergebnisse auf spezifische Belange hin angepasst werden können und worauf beim Lesen einer Ökobilanz geachtet werden muss.

3.1  Funktionelle Einheiten

Wie bei allen Vergleichen ist es auch bei Ökobilanzen wichtig, dass nur Gleiches mit Gleichem verglichen wird. Insbesondere wenn ein Materialvergleich angestellt und behauptet wird, ein Material sei besser als das andere, zum Beispiel, weil es weniger THG pro m³ emittiert, lohnt sich ein Blick auf die Details. Es kann durchaus sein, dass man, um die gleiche Funktion zu erhalten, wesentlich weniger m³ des einen Materials benötigt als des anderen. Tragwerksmaterialien sind dafür ein gutes Beispiel. Beim Vergleich von Holz, Beton und Stahl pro m³ wird vernachlässigt, dass jeweils für die gleiche Tragwirkung unterschiedliche Mengen an Material benötigt werden. Ein Tragwerksvergleich sollte also immer nur am Gesamtsystem (Gebäude oder tragendes Bauteil), nie am einzelnen Material festgemacht werden.

Genauso ein Dämmstoffvergleich – hier ist die Funktion die Dämmwirkung, für die je nach Dämmstoff unterschiedliche große Mengen benötigt werden. Wie unterschiedlich solche Ergebnisse ausfallen können, zeigen die Abbildungen 3 und 4: Im ersten Vergleich emittiert 1 kg XPS Dämmstoff am meisten THG. Im zweiten Vergleich nach Dämmwirkung schneidet PIR am schlechtesten ab etc.

 
Abbildung 3: THG-Vergleich von Dämmstoffen nach Masse, Lebenszyklushasen A1 bis A3+C3+C4+D – basierend auf der ÖKOBAUDAT 2020-II (eigene Darstellung)


Abbildung 4: THG-Vergleich von Dämmstoffen nach Dämmwirkung, Lebenszyklushasen A1 bis A3+C3+C4+D (eigene Darstellung)

In Bezug auf die Wärmedämmstoffe und die realisierte Dicke ist es grundsätzlich so, dass mehr Wärmedämmung zu einer Reduktion des Energiebedarfs in der Nutzungsphase führt. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die erzielte Reduktion des Energiebedarfs mit steigender Dicke der Wärmedämmung abnimmt. Das heißt die Wirksamkeit der Wärmedämmung nimmt ab. Ein weiterer wichtiger Aspekt stellt der steigende Ressourcenbedarf und damit die steigenden grauen Emissionen und Energien für die Wärmedämmung dar. Ab einer gewissen Dicke übersteigen die grauen Emissionen und Energien für die zusätzliche Wärmedämmung die erreichbare Reduktion des Energiebedarfs. Das heißt, zusätzliche Wärmedämmung resultiert in einem höheren Gesamtenergiebedarf (graue Energie + Energiebedarf für die Nutzungsphase). Die Grenze ist dabei abhängig von den Eigenschaften der Wärmedämmung wie bspw. Wärmeleitfähigkeit und Material.

3.2  Wahl der Systemgrenzen

Zeitliche Systemgrenzen

Zu den zeitlichen Systemgrenzen gehört nicht nur die Wahl des Betrachtungszeitraumes, d.h. der theoretischen Lebensdauer des Gebäudes oder des Bauteils, sondern auch die Auswahl der betrachteten Lebenszyklusphasen. Abhängig von der Fragestellung kann nur die Herstellung der Baustoffe, deren gesamte Nutzungsphase oder nur deren Rückbau und die Entsorgung bzw. das Recycling berechnet werden. Je nach  Zieldefinition der Ökobilanz können z. B. Gutschriften, die sich aus dem Recycling von Baumaterialien ergeben, ausgeschlossen oder miteinberechnet werden. Eine solche Auswahl ist grundsätzlich legitim, muss aber zur Fragestellung passen. Des Weiteren ist es auch möglich durch das gezielte Weglassen von Lebenszyklusphasen ein spezifisches, gewünschtes Bild der Ergebnisse zu kreieren.

Als geeignete Beispiel bieten sich hier die Betrachtung von Holz und Stahl an. Wenn bspw. nur die positiven Effekte hinsichtlich der Bindung von Kohlenstoff in Holz dargestellt werden sollen, so wird der Fokus auf die Herstellungsphase gelegt. Für die Herstellungsphase von Holz wird in der ÖKOBAUDAT eine Gutschrift dargestellt. Wenn jedoch der Fokus nur auf der Herstellungsphase liegt wird für Holz der End-of-life vernachlässigt z. B. durch den biologischen Abbau oder durch Verbrennung der gebundene Kohlenstoff wieder freigesetzt wird. Bei Stahl hingegen zeigt sich, in Bezug auf Holz, ein gegenläufiges Bild. In der Herstellungsphase weist Stahl einen großen Energiebedarf und graue Emissionen auf. Dadurch, dass Stahl allerdings ein rezyklierbares Material ist, können durch die Vernachlässigung der End-of-life Phase die „Gutschriften“ für die Gewinnung von Sekundärmaterial unter Umständen nicht dargestellt werden. Weitere Beispiele sind in Abbildung 5 dargestellt. Hier ist wieder der gleiche Vergleich wie in Abbildung 4 dargestellt, nur dass die Phase D weggelassen wurde. Damit ist der Holzfaserdämmstoff nicht mehr der Dämmstoff mit den wenigsten THG-Emissionen, sondern die Mineralwolle.

Möchte man die CO2-Einlagerungsfähigkeit von Holz betonen, so wird der Fokus auf die Herstellungsphase gelegt, da Holz hier nach ÖKOBAUDAT eine Gutschrift erhält, weil es beim Wachstum Kohlenstoff einlagert. Wer dagegen kommunizieren möchte, dass Stahl ein rezyklierfähiges Material ist, stellt die Phase D „Gutschriften“ (für die Gewinnung von Sekundärmaterial) in den Vordergrund.


Abbildung 5: THG-Vergleich von Dämmstoffen nach Dämmwirkung, Lebenszyklushasen A1 bis A3+C3+C4 ohne D (eigene Darstellung)

Wie sehr die Ergebnisse variieren können, zeigt Abbildung 6. Dargestellt sind die Ökobilanzen von zwei verschiedenen Deckenkonstruktionen aus Massivholz und aus Stahlbeton. Durch das systematische Weglassen von einzelnen Lebenszyklusphasen können die Aussagen zu dem berechneten Beispiel deutlich unterschiedlich ausfallen. In ‘dunkelblau’ ist lediglich die Herstellungsphase dargestellt. Die Holzvariante weist durch das Speichern von Kohlenstoff einen negativen Wert auf, während für die Massivdecke THG-Emissionen entstehen. Bei ‘Summe mit D’ und ‘Summe ohne D’ werden die Recyclingpotentiale dargestellt bzw. nicht dargestellt. Ein Vergleich zwischen ‘Nur Herstellung’ und ‘Summe ohne D’ zeigt, wie gravierend unterschiedlich das Ergebnis aussieht: „Nur Herstellung“ ist eine eindeutige Empfehlung für das Bauteil in Holzbauweise während bei „Summe ohne D“ beide Bauteile gleich gut abschneiden. Grundsätzlicher Appell an dieser Stelle ist daher, auf eine transparente Darstellung inklusive aller Lebenszyklusphasen zu achte


Abbildung 6. : THG-Bilanzierung einer Decke in Holzbauweise und einer Decke in Massivbauweise (eigene Darstellung)

 

Räumliche Systemgrenzen

Bei den räumlichen Systemgrenzen stellt sich die Frage, welche Gebäudeteile in die Bilanz eingerechnet werden. Je nach dem, was untersucht werden soll, können z. B. unbeheizte Dach- und Kellerräume oder Treppenhäuser oder ganze Teile, wie zum Beispiel die Gebäudetechnik, Möbel oder Außenanlagen, ausgeschlossen werden. Zudem werden oftmals Kleinteile wie Fensterbeschläge oder Befestigungen nicht eingerechnet. Man kann sich vorstellen, dass die Systemgrenzen auf die Fragestellung abgestimmt sein müssen, da die Ergebnisse sonst nicht aussagekräftig sind. Zum Beispiel lässt sich die Frage nach einem lebenszyklusbasiert THG-neutralen Energiestandard nur beantworten, wenn die ganze Gebäudehülle und die Gebäudetechnik einbezogen werden.

Abbildung 7 und 8 illustrieren ein einfaches Beispiel, wie durch das Einbeziehen und Verändern von Schichten ein Vergleich sehr unterschiedlich aussehen kann. In Abbildung 7 ist der Vergleich von zwei Holzdecken und 2 Stahlbeton (StB)-Decken nach deren Treibhausgas-Emissionen über 50 Jahre Lebensdauer gezeigt. Die Deckenversion Holz1 zeigt die geringsten Emissionen, gefolgt von StB1. Abbildung 8 zeigt, was dahintersteckt: Ausschlaggebend ist nicht, wie der Name der Decken suggerieren mag, das Material des Deckenkerns, sondern der Aufbau des Bodens auf der Decke: Die beiden Decken mit der Nummer 1 haben jeweils eine Holzfaserdämmung und einen Parkett-Bodenbelag, während die Decken mit Nummer 2 mit EPS-Dämmung und Teppichbelag versehen sind. Der ausschlaggebende Faktor an dieser Ökobilanz ist die Tatsache, dass der Teppich alle 10 Jahre ausgetauscht wird, während das Parkett 50 Jahre lang hält.


Abbildung 7: Vergleich von Deckenkonstruktionen: Treibhausgaspotenzial in kg CO2-Äq. pro m² Decke - 50 Jahre Betrachtungszeitraum (eigene Darstellung)


Abbildung 8: Vergleich von Deckenkonstruktionen: Treibhausgaspotenzial in kg CO2-Äq. pro m² Decke (50 Jahre Betrachtungszeitraum), aufgeschlüsselt nach Bodenbelag (KG 352), Kern (KG 351) und Deckenbekleidung (KG 353) (eigene Darstellung)

3.3  Länge des Betrachtungszeitraums

Derzeit werden Gebäude in Deutschland meist über 50 Jahre bilanziert, da die Zertifizierungssysteme BNB und DGNB diese Lebensdauer für die meisten Gebäude vorgeben. Vor allem Wohngebäude haben dagegen meist eine wesentlich längere Nutzungsdauer, so dass sie in manchen Studien über 80 oder 100 Jahre bilanziert werden. Die Wahl dieses Zeitraumes hat einerseits den Effekt, dass mit längerer Lebensdauer des Gebäudes die Nutzungsphase mit ihrem Energiebedarf und den Austausch- und Reparaturzyklen ein höheres Gewicht im Vergleich zur Erstellung bekommt. Innerhalb der Nutzungsphase fallen die Materialien mehr ins Gewicht, die oft ausgetauscht werden müssen. Besteht in der Nutzungsdauer eines Produktes oder einer Dienstleistung ein hoher Energiebedarf oder Emissionsausstoß, dann kann die Variation des Betrachtungszeitraums einen großen Effekt auf die gesamt Ökobilanz-Ergebnisse haben. Abbildung 10 und 11 zeigen diesen Effekt am Beispiel der Deckenkonstruktion aus Abbildung 8: Eine Verlängerung des Betrachtungszeitraumes auf 80 Jahre (Abbildung 10) verstärkt den Unterschied zwischen den Konstruktionen, da mehr Schichten öfter ausgetauscht werden. Eine Verkürzung auf 20 Jahre dagegen lässt den Bodenaufbau weniger relevant erscheinen, so dass der Unterschied zwischen den Konstruktionen kleiner wird.


Abbildung 9: Vergleich von Deckenkonstruktionen: Treibhausgaspotenzial in kg CO2-Äq. pro m² Decke (80 Jahre Betrachtungszeitraum), aufgeschlüsselt nach Bodenbelag (KG 352), Kern (KG 351) und Deckenbekleidung (KG 353) (eigene Darstellung)


Abbildung 10: Vergleich von Deckenkonstruktionen: Treibhausgaspotenzial in kg CO2-Äq. pro m² Decke (20 Jahre Betrachtungszeitraum), aufgeschlüsselt nach Bodenbelag (KG 352), Kern (KG 351) und Deckenbekleidung (KG 353) (eigene Darstellung)

3.4  Austauschzyklen

Austauschzyklen definieren, wie lange ein Bauteil oder eine Bauteilschicht im Gebäude bleibt. Dafür gibt es standardisierte Lebensdauern, die sich in der Hauptsache auf die technische Lebensdauer eines Produktes beziehen (→ Informationsportal Nachhaltiges Bauen / Nutzungsdauern von Bauteilen). So hat zum Beispiel eine Gipskartonplatte eine Lebensdauer von 50 Jahren, auch wenn eine Trockenbauwand gegebenenfalls schon nach wesentlich kürzerer Zeit ausgetauscht wird, weil die Trennwand dort nicht mehr gebraucht wird, wo sie ursprünglich gestellt wurde. Fliesen sind ein anderes Beispiel eines Bauteils mit einer langen Nutzungsdauer (50 Jahre), die aber erfahrungsgemäß aus Gründen der Gestaltung, des Geschmacks oder der Mode, selten 50 Jahre lang im Gebäude bleiben. Die Lebensdauern bieten damit eine weitere Möglichkeit, Ergebnisse von Ökobilanzen zu beeinflussen. Wenn also zum Beispiel zwei Gebäude in unterschiedlicher Konstruktionsweise (also ein Holztragwerk ein Betontragwerk, ein Stahltragwerk) verglichen werden, sollte man darauf achten, dass erstens alle Baustoffe, die nichts mit der Konstruktionsart zu tun haben, in allen Varianten gleich sind (also zum Beispiel, dass in allen Gebäuden Teppich verlegt ist, s. Abbildungen 8, 10 und 11). Zweitens lohnt es sich, ein Auge darauf zu werfen, ob der erwähnte Teppich über den Betrachtungszeitraum sehr oft ausgetauscht wird, so dass die Umweltwirkungen insgesamt sehr hoch werden – und damit die Unterschiede zwischen den Varianten prozentual niedriger. In diesem Fall beeinflusst ein Faktor das Ergebnis, der nichts mit der Fragestellung zu tun hat.

3.5  End-of-Life Szenarien

Unter End-of-Life Szenarien versteht man den Entsorgungsweg eines Materials, also das, was mit dem Material passiert, nachdem es aus dem Gebäude ausgebaut wird. Auch hier gibt es standardisierte Vorgaben in Nachhaltigkeits-Zertifizierungssystemen:
→ z.B. Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen / Bürogebäude Neubau / Version 2015 / Bilanzierungsregeln für die Erstellung von Ökobilanzen, Seite 5

So werden Metalle dem Recycling zugeführt, während Materialien mit einem Heizwert zur Energiegewinnung verbrannt werden. Die dabei entstehenden Potentiale in Form von Energie oder Sekundärmaterial werden in der Ökobilanz im Modul D (Recyclingpotentiale) zusammengefasst. Dabei ist zu beachten, dass nach DIN EN 15978:2012-10 die sich aus Modul D ergebenden Vorteile und Belastungen außerhalb der Bilanzierungsgrenzen stehen und in der Ergebnisdarstellung separat aufgeführt werden müssen. Zudem ist hierbei wichtig anzumerken, dass die Daten zu Modul D nicht konsistent zu allen Baumaterialen und -produkten zur Verfügung stehen. Zudem sind die Quantifizierung und Bilanzierung von bspw. möglichen zukünftigen Vorteilen durch das Recycling eines Baustoffs, das noch viele Jahre in der Zukunft liegt, hypothetische Annahmen, die mit einer hohen Unsicherheit behaftet sind. Als Beispiel kann hier die Gutschrift durch Verbrennung nachwachsender Rohstoffe genannt werden. Die Gutschriften für Modul D (Verdrängung fossiler Energieträger) beziehen sich auf den heutigen Stand des Energienetzes, dieser Stand wird dann für die Gutschriften in z. B. 50 Jahren angenommen. Das Problem ist, dass das Energienetz dann komplett anders ist, was auch zu komplett anderen Gutschriften führt. Ein Risiko besteht daher darin, die Ökobilanz zu beschönigen.

3.6  Datenbanken und Datensätze

Die Wahl der Ökobilanz-Datenbank kann einen Einfluss auf das Ergebnis einer Ökobilanz nehmen. Datenbanken weisen verschiedenste Datenbestände und Aktualitäten auf. Zudem können die Bestimmungen zur Datenaufnahme zu den Datensätzen zwischen Datenbanken variieren. Darüber hinaus gibt es grundsätzlich verschiedene Arten von Datensätzen (s. Punkt 1.6: Durchschnittsdatensätze und spezifische Datensätze). Länderbezogene Durchschnittsdatensätze bilden einen Mittelwert für bspw. Holzfaserdämmungen in Deutschland, während herstellerspezifische Datensätze sich auf ganz bestimmte Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen eines einzelnen Herstellers beziehen. Vor der Nutzung von Ökobilanz-Datensätzen muss deshalb genau geprüft werden, ob der Datensatz für die jeweilige Fragestellung geeignet ist. Für einen sinnvollen Vergleich zweier Dämmstoffe ist es notwendig, dass beide Datensätze der gleichen Kategorie angehören (beide Durchschnittsdatensätze oder beide herstellerspezifisch).
Ein weiterer Punkt, der beim Vergleich von Ökobilanzen beachtet werden muss, ist, dass in vielen Fällen nicht zu allen Lebenszyklusphasen Daten zur Verfügung stehen. Es existieren Datenbanken, die als Mindestanforderung die Angabe von Werten für die Herstellung von Produkten und Dienstleistungen vorschreiben. Werden beispielsweise Summenwerte über alle Lebenszyklusphasen von Produkt-Ökobilanzen miteinander verglichen, können sich dabei Verzerrungen bei der Interpretation ergeben, wenn bspw. Angaben zur Entsorgung fehlen.
Wie unterschiedlich die Daten sein können, die in verschiedenen Datenbanken vorhanden sind, zeigt Abbildung 9. Nicht nur die absolute Höhe der Werte unterscheidet sich, auch ein Vergleich der Baustoffe untereinander fällt je nach Datenbasis anders aus.


Abbildung 11: Primärenergieinhalt (PEI, erneuerbar und nicht erneuerbar) in Gigajoule (GJ) pro t Baustoff nach verschiedenen Datenbanken

Weiterführende Literatur: Annex 72 Ergebnisse (Frischknecht et al. 2019; Frischknecht et al. 2020)

3.7  Ergebnisdarstellung

Ergebnisse von Ökobilanzen werden in Indikatoren dargestellt – typische sind zum Beispiel Primärenergiebedarf erneuerbar bzw. nicht erneuerbar (abgekürzt PERT bzw. PENRT) oder THG-Potential (abgekürzt als GWP für Global Warming Potential). Wichtig dabei ist, dass diese Indikatoren unterschiedliche Aussagen machen und daher in völlig unterschiedlichen Einheiten ausgedrückt werden: Für Primärenergie (PE) ist das MJ (Megajoule: 3,6 MJ sind 1 kWh - Kilowattstunde), für GWP sind es kg CO2-Äquivalente. Energiebedarf und THG-Emissionen hängen zwar zusammen, sind aber nicht das gleiche: Wenn Brennstoffe verbrannt werden, wird THG emittiert. Wie viel aber bei welchem Bedarf an Energie und mit welcher Energieerzeugung, ist unterschiedlich. Das heißt, die Ergebniszahlen sind nicht vergleichbar – es ist grundsätzlich unterschiedlich, ob ein Baustoff in seiner Herstellung X MJ Energiebedarf hat oder Y kg CO2 -Äq. emittiert. Noch komplizierter wird es, wenn außer GWP noch andere Umweltwirkungen, wie zum Beispiel Versauerungspotenzial (abgekürzt AP für Acidification Potential, Einheit: kg SO2-Äquivalente) betrachtet werden: GWP und AP hängen nicht unbedingt zusammen, es kann also sein, dass ein Vergleich ergibt, dass ein Baustoff zwar weniger THG emittiert, aber mehr Versauerungspotenzial aufweist als ein anderer. Zu entscheiden, welcher der beiden Baustoffe damit der „umweltfreundlichere“ ist, ist eine Frage der Prioritäten bzw. der Gewichtung. Wenn also das Ergebnis einer Ökobilanz ist, dass ein Baustoff „der bessere“ ist, sollte man sich genau ansehen, wie diese Aussage begründet wird.

Je nach betrachtetem Indikator kann die Bewertung eines Produktes positiver oder negativer ausfallen. Es besteht somit die Möglichkeiten je nach Zieldefinition der Ökobilanz bzw. der Interpretation der Ökobilanz-Ergebnisse zwischen Indikatoren zu priorisieren oder diese verschieden zu gewichten.
Abbildung 12 zeigt den Einfluss des Indikators. Dargestellt ist der Vergleich der Dämmstoffe aus Abbildung 4, diesmal anhand des Indikators erneuerbare Primärenergie (PERT). Es zeigt sich, dass der Holzfaserdämmstoff mit Abstand am meisten erneuerbare Primärenergie enthält – die Sonnenenergie, die das Holz im Wachstum für die Bildung von Kohlenstoff benötigt.


Abbildung 12: Vergleich von Dämmstoffen nach Dämmwirkung, Lebenszyklushasen A1 bis A3+C3+C4+D; Indikator PERT (erneuerbare Primärenergie)

3.8  Ökobilanzen in Umweltproduktdeklarationen

Das Internationale EPD® System ist ein globales Programm, das seit 1998 die Erstellung von Environmental Product Declarations (EPD’s), zu Deutsch Umweltproduktdeklarationen, initiiert. EPD’s dienen dazu die Umweltauswirkungen von Produkten und Dienstleistungen zu ermitteln. Ökobilanzen dienen als Grundlage hierfür. Das Erstellen von EPD’s ist für Hersteller von Produkten und Anbietern von Dienstleitungen nicht verpflichtend, sondern es besteht die Möglichkeit mithilfe der ermittelten Umweltauswirkungen Prozesse mit hohen Umweltauswirkungen zu ermitteln und zu optimieren.
EPDs bilden in vielen Fällen die Grundlage für Gebäudeökobilanzen. Denn die Ökobaudat nimmt die Ökobilanzergebnisse auf, die in EPDs von Bauprodukten enthalten sind, wenn bestimmte Kriterien eingehalten sind. Die Ökobaudat wiederum ist Grundlage für die meisten Gebäudeökobilanzen in Deutschland.
Werden mehrere EPD’s innerhalb einer Produkt- bzw. Dienstleistungsgruppe erstellt, dann besteht die Möglichkeit, Produkte bzw. Dienstleistungen miteinander zu vergleichen und Konsumentscheidungen auf Basis dessen zu treffen. Aufgrund einer einzelnen EPD ist das nicht möglich, denn eine EPD bedeutet nur, dass der Hersteller eine Analyse der Umweltwirkungen hat anfertigen lassen, aber nicht, dass hier schon Verbesserungen vorgenommen wurden. Eine EPD ist also nur ein erster Schritt zu einem umweltfreundlicheren Produkt, noch kein Zeichen von Umweltfreundlichkeit oder Nachhaltigkeit.

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Kapitel 3. aus: "Zwischen den Zeilen von Ökobilanzen"; Patricia Schneider-Marin Dipl.-Ing. Architektin, Hannes Harter, M.Sc.; Michael Vollmer, M.Sc.; Trondheim, München, 2021