Weitere Quellen für Formaldehyd im Innenraum

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  • Anstrichmittel auf wässriger Basis und säurehärtende Lacke (SH-Lacke) ... → mehr
  • Mineralwolle-Dämmstoffe ... → mehr
  • Klebstoffe ... → mehr
  • Glasfaser-Vliese ... → mehr
  • Betonzusatzmittel ... → mehr
  • Formaldehyd in naturbelassenem Holz? ... → mehr

 

Schaum-Dämmplatten, Ortschaum

Für wärme- und schalldämmende Anwendungen im Innenraum werden offenzellige Schaumstoff-Platten auf Basis Melamin-Formaldehyd- oder Phenol-Formaldehyd-Harz eingesetzt. Solche Platten können erhebliche Formaldehyd-Emissionen aufweisen. Zusätzlich ist mit Emissionen des verwendeten Treibmittels zu rechnen.

Ortschaum auf Basis Harnstoff-Formaldehyd-Harz (UF) wurde in den 1950er Jahren entwickelt. Die Herstellung des Schaums erfolgt vor Ort auf der Baustelle durch Vermischen einer wässrigen Harzlösung und einer durch Druckluft aufgeschäumten wässrigen Tensidlösung mit anschließender katalytischer Härtung. Mittels transportabler Schäumeinrichtungen wird der Schaum über Schlauch- oder Rohrleitungen in die zu dämmenden Bauteile geleitet.

Seit den in den 1970er Jahren einsetzenden Bestrebungen zur Energieeinsparung wurde der Schaum vermehrt zur Dämmung von Gebäuden eingesetzt. In der Folge kam es zu massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen von Gebäudenutzern durch teils extrem hohe Formaldehyd-Konzentrationen in der Innenraumluft.

Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) erteilt seit Anfang der 1980er Jahre unter bestimmten Voraussetzungen allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen für die Herstel­lung und Verwendung von nachträglich in Hohlschichten von zweischaligem Mauerwerk für Außenwände eingeschäumte UF-Ortschäume. Die seit 1985 unverändert gültige „ETB-Richtlinie zur Begrenzung der Formaldehydemission in die Raumluft bei Verwendung von Harnstoff-Formaldehydharz-Ortschaum“ (ETB-Ri UF-Ortschaum, DIBt Mitteilungen 1/2009) zielt darauf ab, die Formaldehyd-Konzentration in Aufenthaltsräumen von Häusern, deren Dächer oder Wände mit UF-Ortschaum gedämmt sind, zu begrenzen. Voraussetzung für die bauaufsichtliche Zulassung ist, dass der Schaum in einem Prüf­raum nach 20 Tagen eine Formaldehyd-Konzentration von 0,1 ppm nicht überschreitet. Als Wärmedämmung für zweischaliges Mauerwerk von Aufenthaltsräumen darf der Schaum nur eingesetzt werden, wenn die Räume über ausreichende natürliche Belüftungsmöglichkeiten verfügen. Das Mauerwerk muss die in der ETB-Richtlinie fest­gelegten Anforderungen an die Dichtigkeit erfüllen. Der Zulassungsinhaber (Schaum-Produzent) muss zudem dafür Sorge tragen, dass beim Verarbeiter ausreichend Kennt­nisse im Umgang mit formaldehydhaltigem Ortschaum vorhanden sind.

Das DIBt ist der Auffassung, dass durch die sorgfältige Einhaltung sämtlicher Randbedin­gungen „erreicht werden kann, dass keine Formaldehyd-Belastung über ein gesundheit­lich unbedenkliches Maß von 0,1 ppm in den Innenräumen auftritt“ [DIBt 2009]. Um ganz sicher zu gehen, nimmt das DIBt aber auch die Bewohner in die Pflicht, „unmittelbar nach dem Einbringen des Dämmstoffs ... durch sorgfältiges Lüften mögliche Anreicherungen von Formaldehyd im Gebäude zu vermeiden.“ Allerdings kommt es trotz aller Anstren­gungen nach Dämmmaßnahmen mit UF-Ortschaum „zu längeranhaltenden erhöhten Formaldehyd-Belastungen“ [DIBt 2009], in deren Folge der Schaum teilweise sogar wieder ausgebaut werden muss.

Anstrichmittel

Anstrichmittel auf wässriger Basis

Anstrichmitteln auf wässriger Basis (z. B. Dispersionsfarben) werden zur Gebindekonser­vierung (Topfkonservierung gegen mikrobiellen Befall) teilweise Stoffe zugegeben, die Formaldehyd freisetzen (sog. Formaldehyd-Depotstoffe). Der freie Formaldehyd entweicht bei der Trocknung des Farbauftrags in die Raumluft.

Nach einer vom Umweltbundesamt veröffentlichten Studie ist nach Verwendung derart konservierter Anstrichstoffe in einem Zeitraum bis zu 2 Wochen mit Formaldehyd-Konzentrationen in der Raumluft zu rechnen, die zu Schleimhautreizungen besonders an den Augen führen können. „Daraus folgt, dass während und in den Tagen nach Renovie­rungsarbeiten eine geeignete Lüftung zwingend notwendig ist, damit der Orientierungswert von 0,1 ppm schnellstmöglich wieder erreicht und unterschritten wird“ [WaBoLu, in: Heinemeyer 2006].

Formaldehyd-Abspalter dürfen grundsätzlich auch den mit dem Blauen Engel (DE-UZ 102, Emissionsarme Wandfarben) ausgezeichneten Dispersionsfarben zugesetzt werden. Grenzwerte für die Menge an freiem Formaldehyd sollen „verhindern, dass bei der Verarbeitung und Trocknung des Beschichtungsmaterials der empfohlene Innenraum­grenzwert für Formaldehyd von 0,1 ppm überschritten wird“ [10]. Für Wandfarben, die mit dem natureplus Label ausgezeichnet sind, dürfen keine Formaldehyd-Abspalter einge­setzt werden [11].

Statt Formaldehyd-Abspaltern für wässrige Anstrichstoffe werden in den letzten Jahren vermehrt Konservierungssysteme auf Basis von Isothiazolinonen eingesetzt.

Säurehärtende Lacke (SH-Lacke)

SH-Lacke haben ausgezeichnete lacktechnische Eigenschaften und waren über viele Jahre ein erfolgreiches Lacksystem für die Möbelindustrie. Ihr Einsatz ist aber seit Mitte der 1980er Jahre rückläufig. In Deutschland haben SH-Lacke – mit Ausnahme von wenigen Spezialgebieten – praktisch keine Bedeutung mehr.

Der Grund für den weitestgehenden Verzicht auf SH-Lacke liegt in der Tatsache, dass solche Lacke auf Basis von Harnstoff- bzw. Melamin-Formaldehydharzen in der Vergan­genheit Ursache für erhebliche Formaldehyd-Belastungen in Innenräumen waren. Nach einem Presseartikel über hohe Formaldehyd-Emission aus einem Bücherregal verzichtete 1993 ein führender skandinavischer Möbelhersteller auf die Verwendung von SH-Lacken.

Mineralwolle-Dämmstoffe

Mineralwolle-Dämmstoffe werden üblicherweise unter Verwendung eines formaldehyd­haltigen Bindemittels (Phenol-Formaldehyd-Harz) hergestellt. Der Bindemittel-Anteil beträgt bis ca. 7 %, der Anteil von Formaldehyd im Bindemittel liegt bei knapp 30 %.

Produktionsfrische Mineralwolle kann erhebliche Formaldehyd-Emissionen aufweisen. Zwar ist bei luftdichtem Einbau z. B. für die Dachdämmung nicht mit einer Formaldehyd­abgabe an die Innenraumluft zu rechnen. Bei einem nach innen hin offenen Einbau (Decken, Wände) kann sich die Formaldehyd-Emission aber durchaus in der Innenraum­luft bemerkbar machen.

In einer 2008 veröffentlichten Untersuchung von Mineralwolle betrug die Emissionsrate für Formaldehyd 28 Tage nach Einbringen der Probe in die Prüfkammer 50 µg/m²xh.[12] Unter Zugrundelegung des Luftwechsels von 0,5/h ergibt sich daraus eine Formaldehyd-Konzentration von 138 µg/m³. Tatsächlich ist die Luftwechselrate in modernen Gebäuden, die nicht technisch belüftet werden, meist viel geringer. In einem solchen Fall ergeben sich dann auch noch höhere Formaldehyd-Konzentrationen.

Es ist davon auszugehen, dass die Formaldehyd-Emission aus Mineralwolle mit der Zeit weiter abnimmt, so dass mit einer dauerhaft hohen Formaldehyd-Belastung der Innen­raumluft infolge nicht luftdicht verbauter Mineralwolle nicht zu rechnen ist.

Seit 2009 sind auch Mineralwolle-Dämmstoffe mit einer formaldehydfreien Bindemittel-Technologie auf dem Markt. Vor dem Hintergrund, dass in Frankreich Bauprodukte möglichst formaldehydfrei sein sollen, gehörte dieser Markt zu den ersten, in denen die formaldehydfreie Glaswolle präsentiert wurde.

Klebstoffe

In einer Untersuchung des Umweltbundesamtes emittierten von vier verschiedenen Klebern ein Kork- und ein Vlieskleber Formaldehyd. Als Quelle für Formaldehyd ist auch hier – wie bei den wässrigen Anstrichstoffen – ein Formaldehyd-Abspalter anzunehmen, der den Kleber vor mikrobiologischem Befall während der Lagerung schützen soll [UBA 2007].

Glasfaser-Vliese

Glasfaservliese, wie sie z. B. als Auflage auf Abhangdecken, als Ummantelung für spezielle Gipsplatten und als Glasfaser-Bewehrungsstreifen für Gipsspachtelmassen Verwendung finden, können infolge des verwendeten UF-Bindemittels deutliche Mengen Formaldehyd abgeben. Untersuchungen an mit Glasvlies ummantelten Spezial-Gipsplatten zeigten Formaldehyd-Emissionen bis etwa 40 % des für Holzwerkstoffplatten maximal erlaubten Wertes von 0,1 ppm. Da die Raumbeladung (Verhältnis von Fläche der verwendeten Glasfaservliese zum Raumvolumen) aber meist vergleichsweise gering ist, sind keine hohen Formaldehyd-Konzentrationen infolge solcher Vliese zu erwarten. Andererseits sind es in vielen Fällen die Beiträge verschiedener Bauprodukte, die schließ­lich in der Summe zu einer erhöhten Konzentration von Formaldehyd in der Innenraumluft führen.

Betonzusatzmittel

Betonzusatzmittel sind organische oder auch anorganische Zusätze zu Frisch- und Fest­beton, die durch chemische und/oder physikalische Wirkungen die Eigenschaften von Beton beeinflussen. In Deutschland werden nach Schätzungen etwa 90 % aller Betone mit Zusatzmitteln hergestellt, wobei schwerpunktmäßig Betonverflüssiger und Fließmittel eingesetzt werden. Bestimmte Wirkstoffe wie z. B. Melaminsulfonate oder Naphthalin­sulfonate enthalten produktionsbedingt geringe Mengen Formaldehyd.

Um in die Innenraumluft überzutreten, muss der Formaldehyd im Frischbeton zunächst durch langsame Diffusionsprozesse in der wässrigen Phase an die Betonoberfläche gelangen. Es ist davon auszugehen, dass dabei ein Teil des hochreaktiven Formaldehyds im Kontakt mit dem stark alkalischen Zementleim bzw. der Porenlösung des Zementsteins zu Ameisensäure und Methanol reagiert. Prüfkammer-Untersuchungen an 50 Tage alten Betonplatten, die unter Zusatz einer Melaminsulfonatlösung hergestellt wurden, ergaben Formaldehyd-Emissionen von 0,03 ppm (Bedingungen: Beladung 1 m²/m³; 23 °C; 45 % rF; Luftwechsel 1 h-1, Kammer-Blindwert: 0,01 bis 0,02 ppm) [Spanka et al.].

Formaldehyd in naturbelassenem Holz?

Das Gerücht, auch naturbelassenes Holz emittiere Formaldehyd in relevanter Menge, hält sich hartnäckig. Tatsächlich enthält naturbelassenes Holz keinen freien Formaldehyd. Allerdings enthält Holz verschiedene Substanzen, bei denen durch thermohydrolytische Zersetzung ab etwa 100 °C Formaldehyd freigesetzt werden kann. Die Formaldehyd­abgabe nimmt mit einer Erhöhung der Trocknungstemperatur zu und ist auch von der Holzart abhängig. Untersuchungen zeigen, dass für die Weiterverarbeitung zu Holzwerk­stoffen vorgesehene Holzspäne und Holzfasern je nach Trocknungsbedingungen zwischen 0,02 und 0,07 ppm Formaldehyd emittieren können [Månsson et al. 1999]. Auch wenn diese Holzspäne bzw. -fasern mit formaldehydfreien Bindemitteln verleimt werden, können die Holzwerkstoffplatten also Formaldehyd-Emissionen aufweisen.

Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass naturbelassenes Holz erhebliche Mengen Formaldehyd aus seiner Umgebung, z. B. der Innenraumluft reversibel binden und über einen längeren Zeitraum wieder abgeben kann. In Anwesenheit von Formaldehyd-Quellen kann naturbelassenes Holz also zur Sekundärquelle werden. In formaldehydfreier Umge­bung gibt Naturholz jedoch keinen Formaldehyd ab [Krippenstapel 2001].

[10] Vergabegrundlage DE-UZ 102 Emissionsarme Wandfarben, April 2010

[11] siehe natureplus RL 0600ff für Wandfarben

[12] Neuhaus, Oppl, Clausen: Formaldehyde emissions from mineral wool in building construction into indoor Air; Indoor Air 2008

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Auszug aus:
Formaldehyd - Eigenschaften, Verwendung, Regelungen, Sanierung -, Dr. Gerd Zwiener, Sachverständigen Büro Dr. Zwiener, erstellt im Auftrag der Bayerischen Architektenkammer, 2015

Inhaltsverzeichnis

Formaldehyd - Eigenschaften

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Gesundheitliche Bedeutung - Innenraum-Richtwerte

Welche Wirkung hat Formaldehyd und wie wird es aufgenommen? Welche Richtwerte gelten und wie werden sie angegeben?
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Erkenntnisprozess zur Toxizität von Formaldehyd - von 1980 bis heute
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Gefahrstoffrecht

Arbeitsplatz-Grenzwerte und Einstufung
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Verwendung - Quellen für Formaldehyd im Innenraum

Holzwerkstoffe

  • Leimarten und Formaldehyd-Abgabe
  • geschlitzte bzw. genutete Akustikplatten
  • Möbel
  • Formaldehydfänger
  • Formaldehydfreie Leime

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Weitere Quellen für Formaldehyd im Innenraum

  • Schaum-Dämmplatten, Ortschaum
  • Anstrichmittel auf wässriger Basis und säurehärtende Lacke (SH-Lacke)
  • Mineralwolle-Dämmstoffe
  • Klebstoffe
  • Glasfaser-Vliese
  • Betonzusatzmittel
  • Formaldehyd in naturbelassenem Holz?

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Regelungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen

  • Gesetzliche Regelungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen (Deutschland, EU)

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  • Das französische VOC-Label

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  • Freiwillige Vereinbarungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen – Label

Blauer Engel, Österreichisches Umweltzeichen, natureplus-Label, Goldenes M
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Belastung der Innenraumluft

Trends, Beispielmessungen, mögliche Ursachen und Abhängigkeiten
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Raumluftmessungen

Voraussetzungen und Durchführung
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Sanierung formaldehydbelasteter Innenräume

  • Entfernen der Emissionsquelle
  • Abdichten der Emissionsquelle
  • Chemische Bindung des Formaldehyds
  • Sanierung mit Zimmerpflanzen?

... → siehe oben

Literatur

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