Gesetzliche Regelungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen
(Deutschland, EU)
Im April 1980 wurde durch den Ausschuss für Einheitliche Technische Baubestimmungen (ETB) die "Richtlinie über die Verwendung von Spanplatten hinsichtlich der Vermeidung unzumutbarer Formaldehydkonzentrationen in der Raumluft" veröffentlicht. Ziel der Richtlinie war es, Gesundheitsgefahren infolge der Abgabe von Formaldehyd durch Spanplatten in Aufenthaltsräumen zu vermeiden.
Aufgrund der Chemikalien-Verbotsverordnung (ChemVerbotsV) in Verbindung mit der Bekanntmachung des Bundesgesundheitsamtes "Prüfverfahren für Holzwerkstoffe" vom Oktober 1991 wurde die ETB-Richtlinie überarbeitet und entsprechend dem erweiterten Geltungsbereich mit dem neuen Titel "Richtlinie über die Klassifizierung und Überwachung von Holzwerkstoffplatten bezüglich der Formaldehydabgabe" versehen und als DIBt-Richtlinie 100 veröffentlicht (Fassung Juni 1994).
Die DIBt-Richtlinie 100 definiert Emissionsklassen von Holzwerkstoffplatten. Die Emissionsklasse E1 kennzeichnet unbeschichtete und beschichtete Holzwerkstoffplatten, die geeignet sind, bei der Untersuchung im Prüfraum eine Ausgleichkonzentration von max. 0,1 ml/m³ (ppm) Formaldehyd einzuhalten, also des Grenzwertes für das Inverkehrbringen nach ChemVerbotsV.
Tabelle 2: Emissionsklassen und Anforderungen an die Formaldehyd-Emission gemäß DIBt-Richtlinie 100
Hersteller von Holzwerkstoffplatten müssen ihre Produkte hinsichtlich der Formaldehydabgabe entsprechend der jeweiligen Plattenart nach Tab. 2 für jedes Werk klassifizieren. Die Prüfung erfolgt in einer Prüfkammer nach dem Prüfverfahren gemäß Bekanntmachung des Bundesgesundheitsamtes "Prüfverfahren für Holzwerkstoffe" [BGA 1991]. Dazu werden unbeschichtete Holzwerkstoffplatten mit einer Beladung von 1 m²/1 m³ in die Prüfkammer mit einem Volumen von mindestens 12 m³ eingebracht. Die Emissionsprüfung erfolgt bei einer Lufttemperatur von 23 °C, einer rel. Luftfeuchte von 45 % rF und einem Luftwechsel von 1 pro Stunde. Diese Prüfbedingungen wurden 2005 in die DIN EN 717-1 Holzwerkstoffe – Bestimmung der Formaldehydabgabe – Teil 1: Formaldehydabgabe nach der Prüfkammermethode übernommen.
Anlass für Kritik an der Prüfgrundlage ist insbesondere der nicht mehr zeitgemäße Luftwechsel von 1/h. Ohne aktive Frischluftzufuhr ist ein Luftwechsel von 1/h allenfalls noch in alten Bestandimmobilien mit undichter Gebäudehülle anzutreffen. In Aufenthaltsräumen neuer oder modernisierter Gebäude liegt die Luftwechselrate bei geschlossenen Fenstern und Türen häufig bei einem 1/10 des Wertes. Diese Diskrepanz führt dazu, dass sich bedeutsame Formaldehyd-Konzentrationen in der Innenraumluft bereits dann einstellen können, wenn lediglich Formaldehyd-Quellen vorhanden sind, die für sich genommen nach dem o. g. Prüfverfahren gar keine auffälligen Emissionen verursachen.
Statt der vergleichsweise aufwendigen Prüfkammer-Untersuchung dürfen auch sogenannte abgeleitete Materialprüfmethoden angewandt werden:
- Bei Roh-Span- und Roh-Faserplatten erfolgt die Klassifizierung über Perforatorwerte nach DIN EN 120 - Holzwerkstoffe - Bestimmung des Formaldehydgehalts, Extraktionsverfahren genannt Perforatormethode - Ausgabe August 1992. Es gelten die Grenzwerte nach Tab. 2.
- Bei Roh-Sperrholz und bei beschichteten Holzwerkstoffen erfolgt die Klassifizierung über Gasanalysewerte nach EN 717-2: Holzwerkstoffe - Bestimmung der Formaldehydabgabe, Teil 2: Formaldehydabgabe nach der Gasanalyse-Methode. Es gelten die Grenzwerte nach Tab. 2
Die Angabe der Emissionsklasse E1 bestätigt die Konformität der Holzwerkstoffplatte mit der Chemikalien-Verbotsverordnung. Produkte, welche die Emissionsklasse E1 nicht erfüllen, dürfen somit in Deutschland nicht in Verkehr gebracht werden. Ausgenommen hiervon sind Holzwerkstoffe, die nachträglich beschichtet werden, z. B. für den Möbelbau. Solche Platten dürfen vor der Beschichtung den E1-Grenzwert sogar noch überschreiten.
Die E1-Konformität von Holzwerkstoffplatten bedeutet also keinesfalls, dass die Platte „formaldehydarm“ oder „emissionsarm“ ist, obwohl dies von Herstellerseite und auch in Verlautbarungen von Bundesbehörden fälschlicherweise immer wieder so formuliert wird. Zitat: „Die Produkte sind auch für den Anwender kenntlich mit Emissionsklasse E1 für formaldehydarm ...“ [UBA (IRK) 2008].
Die 1987 vom Sachverständigenrat für Umweltfragen erhobene Forderung, „sicherzustellen, dass eine Konzentration von 0,1 ppm auch bei ungünstigen Bedingungen nicht überschritten wird“ [SRU 1987], wurde mit der DIBt-Richtlinie nicht vollinhaltlich umgesetzt. Denn tatsächlich sind die baurechtlichen Vorgaben (DIBt-Richtlinie 100) zur Prüfung von Holzwerkstoffen nicht geeignet, die vom SRU aufgestellte Forderung auch bei ungünstigen Bedingungen sicher zu gewährleisten.
Gemäß der europäischen Norm DIN EN 13986 ist es grundsätzlich zulässig, in der EU auch Holzwerkstoffe mit einer Formaldehydabgabe deutlich über 0,1 ppm in Verkehr zu bringen. Da dies jedoch einen Verstoß gegen das bestehende deutsche Chemikalienrecht darstellt, dürfen solche E2-Holzwerkstoffe hierzulande nicht vertrieben werden. Statt dem in der DIBt-Richtlinie 100 verankerten Begriff „Emissionsklasse“ werden die Holzwerkstoffe nach DIN EN 13986 in die „Formaldehyd-Klassen“ E1 und E2 eingeteilt.
Wichtige Ergänzung 01/2020:
Der vorliegende Artikel entstand 2015. Inzwischen wurde über den Bundesanzeiger (BAnz AT 26.11.2018 B2) als Referenzverfahren zur Umsetzung der Chemikalien-Verbotsverordnung hinsichtlich Formaldehydbegrenzung bei beschichteten und unbeschichteten Holzwerkstoffen DIN EN 16516 bekanntgemacht. Als Randbedingung für die Prüfkammermessung ist nun u.a. eine Luftwechsel von 0,5/h (statt bisher 1/h) und eine Beladung von 1,8m2/m3 (statt bisher 1m2/m3) vorgegeben. Dies gilt für Platten, die ab 01.01.2020 hergestellt wurden. Sofern die Emissionsmessung in der Prüfkammer nach dem bis 31.12.2019 gültigen Verfahren DIN EN 717-1 durchgeführt wurde, ist die gemessene Ausgleichskonzentration mit dem Faktor 2,0 zu multiplizieren. Obwohl sich am Formaldehyd-Grenzwert für E1 selbst nichts geändert hat, erfolgt durch die stark veränderten Randbedingungen im Prüfverfahren (geringerer Luftwechsel bei gleichzeitig deutlich höherer Beladung) eine Verschärfung der Formaldehydanforderungen.
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Auszug aus:
Formaldehyd - Eigenschaften, Verwendung, Regelungen, Sanierung -, Dr. Gerd Zwiener, Sachverständigen Büro Dr. Zwiener, erstellt im Auftrag der Bayerischen Architektenkammer, 2015
Inhaltsverzeichnis
Formaldehyd - Eigenschaften
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Gesundheitliche Bedeutung - Innenraum-Richtwerte
Welche Wirkung hat Formaldehyd und wie wird es aufgenommen? Welche Richtwerte gelten und wie werden sie angegeben?
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Erkenntnisprozess zur Toxizität von Formaldehyd - von 1980 bis heute
Darstellung wichtiger Stationen des Erkenntnisprozesses zur Toxizität von Formaldehyd sowie die Entscheidungen deutscher und internationaler Behörden zur tolerablen Innenraumluft-Konzentration. ... → mehr
Gefahrstoffrecht
Arbeitsplatz-Grenzwerte und Einstufung
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Verwendung - Quellen für Formaldehyd im Innenraum
Holzwerkstoffe
- Leimarten und Formaldehyd-Abgabe
- geschlitzte bzw. genutete Akustikplatten
- Möbel
- Formaldehydfänger
- Formaldehydfreie Leime
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Weitere Quellen für Formaldehyd im Innenraum
- Schaum-Dämmplatten, Ortschaum
- Anstrichmittel auf wässriger Basis und säurehärtende Lacke (SH-Lacke)
- Mineralwolle-Dämmstoffe
- Klebstoffe
- Glasfaser-Vliese
- Betonzusatzmittel
- Formaldehyd in naturbelassenem Holz?
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Regelungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen
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Gesetzliche Regelungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen (Deutschland, EU)
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Freiwillige Vereinbarungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen – Label
Blauer Engel, Österreichisches Umweltzeichen, natureplus-Label, Goldenes M
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Belastung der Innenraumluft
Trends, Beispielmessungen, mögliche Ursachen und Abhängigkeiten
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Raumluftmessungen
Voraussetzungen und Durchführung
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Sanierung formaldehydbelasteter Innenräume
- Entfernen der Emissionsquelle
- Abdichten der Emissionsquelle
- Chemische Bindung des Formaldehyds
- Sanierung mit Zimmerpflanzen?
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Literatur
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