Fallbeispiele mit Vermeidungsstrategien

9. Fallbeispiele mit Vermeidungsstrategien

9.1. Feuchteabdichtungen lösungsmittelarm oder nicht – VOC und Gerüche aus tieferen Schichten

9.1.1. Fallbeispiel

Oberhalb einer Wohnung im 2. Obergeschoß wurde vom Vermieter das Dachgeschoß ausgebaut. Im Zuge der Arbeiten wurde der zukünftige Fußboden der Dachgeschoßwohnung durch einen lösemittelhältigen Bitumenanstrich sowie mittels kurz darauf folgender Verlegung von Bitumenbahnen abgedichtet. Beim Nutzer der darunter liegenden Wohnung traten charakteristische Beschwerden (Augenbindehautreizungen, asthmaähnliche Symptome) auf. Der zufällige Besuch einer Informationsveranstaltung über Innenraumschadstoffe, bei der diese für Lösemittel typischen Beschwerden angesprochen wurden, ließ den Nutzer den Zusammenhang zwischen den Beschwerden und Bauarbeiten im Dachgeschoß herstellen.

Messungen ergaben hohe Konzentrationen aromatischer Kohlenwasserstoffe (> 2 mg/m³) in der Raumluft und etwa 10-fach höhere Konzentrationen in den Hohlräumen der Ziegelträgerdecke der Wohnung. es konnte anhand des Bautagebuchs nachgewiesen werden, dass die Verlegung der Bitumenbahnen vor der Trocknung des lösemittelhältigen Bitumenanstriches und damit viel zu rasch erfolgte. Die im Anstrich in hoher Konzentration vorhandenen Lösemittel konnten daher durch mehrere Bauteilschichten nur nach unten wandern und traten nach einigen Tagen in die Raumluft der unterhalb der Baustelle gelegenen Wohnung ein.

Dieser Fall war insofern interessant, da die Beschwerden des Nutzers schon formuliert wurden, bevor ein Zusammenhang mit einer Lösemittelexposition hergestellt wurde.

9.1.2. Hintergrund

Bitumenanstriche zur Feuchteabdichtung werden in lösemittelhältigen und lösemittelarmen Rezepturen hergestellt. Die lösemittelhältigen Präparate sind einfacher zu verarbeiten und werden daher immer noch eingesetzt. Bei Bitumenanstrichen und ähnlichen Produkten ist davon auszugehen, dass bei Verwendung lösemittelhältiger Präparaten abhängig von den Konstruktionsdetails der Bauteilschichten und der tatsächlich vorhandenen Durchtrittswege allgemein mit großer Wahrscheinlichkeit mit einer Lösemittelbelastung der Raumluft nicht nur benachbarter, sondern mitunter auch weiter entfernter Innenräume gerechnet werden muss.

9.1.3. Abhilfe

Eine vollständige Dichtheit von Bauteilschichten ist in der Praxis nicht zu erreichen. In Gebäuden, die von Menschen genutzt werden, empfiehlt sich daher in allen Fällen allgemein die Verwendung lösemittelarmer Rezepturen. In besonderem Ausmaß gilt dies für Bitumenanstriche zur Feuchteabdichtung.

9.2. Grüße aus der Vergangenheit – Gerüche nach Naphtalin

9.2.1. Fallbeispiel

In einem noch unbenutzten Wohnzimmer einer zu vermietenden Wohnung einer Wohnbaugenossenschaft traten vorerst unerklärliche naphtalinartige Gerüche auf. Es wurde eine Messung der Raumluft auf VOC durchgeführt, bei dieser fiel die relativ hohe und geruchlich schon auffällige Konzentration an Methylnaphtalinen auf (etwa 50 µg/m³). Die Quelle dieser für Teerepoxyanstriche charakteristischen polyaromatischen Kohlenwasserstoffen wurde in der Fußbodenkonstruktion vermutet.

Bei Öffnung der Konstruktion konnten die Gerüche in verstärkter Intensität sensorisch wahrgenommen, jedoch vorerst keine klare Quelle identifiziert werden. Erst die differenzierte Untersuchung ergab, dass eine sehr dünne, farblich unscheinbare mineralische Zwischenschicht für die Emission und die Gerüche verantwortlich war. Bei einer in der Vergangenheit durchgeführten Sanierung wurde offenbar die Primärquelle – ein dunkel gefärbter Teerepoxyanstrich – entfernt, die im Laufe der Zeit entstandene Sekundärkontamination der mineralischen Schichte unter dem Anstrich wurde jedoch nicht von der Sanierung erfasst.

9.2.2. Hintergrund

In Feuchträumen und zur allgemeinen Feuchteabdichtung wurden bis in die Neunziger-Jahre des vorigen Jahrhunderts Teerepoxyanstriche als Wand- und Bodenbeschichtungen verwendet. Neben der Abgasung an organischen Lösungsmittelbestandteilen sind in derartigen Fällen vor allem die polyaromatischen Kohlenwasserstoffe Naphtalin und Methylnaphtaline in erhöhten Konzentrationen feststellbar und über einen längeren Zeitraum geruchlich stark wahrnehmbar. Teeranstriche sind heute verboten und werden nicht mehr verwendet.

9.2.3. Abhilfe

Bei Sanierungen ist auf das Vorhandensein atypischer Gerüche zu achten. Das alleinige Entfernen der Primärquelle an Schadstoffen ist bei mehrschichtigen Konstruktionen oft nicht ausreichend, da auch Sekundärkontaminationen zu einer für eine hygienische Innenraumluft nicht akzeptablen Quelle werden können.

9.3. Dauerbrenner Formaldehyd – wie lange dauern Emissionen an?

9.3.1. Fallbeispiel

Eine junge Familie kaufte ein sehr günstiges Fertigteilhaus aus den späten Siebziger-Jahren des vorigen Jahrhunderts. Schon kurz nach Einzug traten bei den Kindern unerklärliche Schleimhautreizungen auf, die bei Aufenthalt in anderen Orten schnell wieder verschwanden. Es keimte daher der Verdacht auf, dass die Beschwerden mit dem gekauften Haus in Verbindung stehen. Auf Grund des Alters des Bauwerkes (35 Jahre nach Errichtung) erschien eine erhöhte Formaldehydkonzentration den Nutzern nicht wahrscheinlich zu sein („der muss ja schon ausgegast sein“).

Messungen ergaben in zwei Räumen deutlich erhöhte Konzentrationen an Formaldehyd knapp unter 0,2 mg/m³ (Richtwert für Innenräume: 0,1 mg/m³).

9.3.2. Hintergrund

In der Regel nehmen Emissionen von flüchtigen Substanzen mit der Zeit ab, wesentlich verstärkt – wie sich in einer Studie von Tappler et al. (2014) zeigte – unter Voraussetzung einer guten Lüftungssituation. Die Konzentration in der Raumluft wird mit der Zeit abhängig vom Luftwechsel immer geringer, bis die Emissionen praktisch nicht mehr nachgewiesen werden können oder – wie bei Formaldehyd aus Spanplatten – sich auf einem bestimmten Niveau einpendeln. Dieses Niveau kann bei Spanplatten niedriger Qualität immer noch hoch sein, bei qualitativ hochwertigen Holzwerkstoffen und ausreichender Lüftung ist es in der Regel verschwindend gering.

Spanplatten, die in der Vergangenheit vor allem in Fertigteilhäusern in größeren Mengen als Wand- und Deckenbaustoff eingesetzt wurden, stellen daher bis dato eine wichtige Quelle von Formaldehyd in Innenräumen dar. Im Laufe der letzten 20 Jahre wurden Spanplatten im Fertighausbau sukzessive durch Gipswerkstoffe ersetzt bzw. liegen mittlerweile hinter luftdichten Schichten und haben dadurch keinen Kontakt mit der Raumluft. Zur Rauminnenseite hin offen liegende bzw. lediglich durch dünne Tapeten- oder Farbschichten verdeckte Spanplatten sind in modernen Fertigteilhäusern nicht mehr zu finden. Bedingt durch das hohe Flächen/Raumvolumenverhältnis, oft verbunden mit niedrigem Luftwechsel, können sich auch bei durchschnittlich emittierenden Spanplatten erhöhte Raumluftkonzentrationen ergeben. Wie Untersuchungen zeigten, kann Formaldehyd aus qualitativ minderwertigen Spanplatten auch noch nach Jahrzehnten in hohen Konzentrationen ausgasen. Ältere Möbel garantieren deshalb nicht immer ein gutes Innenraumklima. Betroffen sind vor allem ältere (bis ca. 1985 erbaute bzw. installierte) Fertigteilhäuser, Möbelfronten und großflächige Wandkonstruktionen.

Informationen zum kürzlich erstellten neuen Richtwert für Formaldehyd für Innenräume findet man in einer Publikation des „Ausschusses für Innenraumrichtwerte“.

9.3.3. Abhilfe

Die Innenraumluft älterer Fertigteilhäuser (bis etwa 1985) sowie Räume mit großflächigen Wandverkleidungen aus dieser Zeit sollten auf die Konzentration an Formaldehyd untersucht werden. Ergeben sich deutlich erhöhte Werte, sollten die alten Möbel geprüft und ggf. ersetzt werden, bei Fertigteilhäusern können Begasungen mit Ammoniak und spezielle Wandfarben eine gewisse Senkung der Formaldehyd-Konzentration bewirken. Oft ist es wirtschaftlicher, einen Neubau oder zumindest eine Sanierung der Wandkonstruktion ins Auge zu fassen. In allen Fällen ist die Lüftungssituation kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern.

In manchen Gebäuden ist der Luftwechsel so niedrig, dass auch bei durchschnittlichen Qualitäten moderner Spanplatten Richtwerte überschritten werden. In diesen Fällen ist für eine hygienische Lüftung der Räume zu sorgen – eine Maßnahme, die auch für die darin lebenden oder arbeitenden Nutzer sinnvoll ist.

9.4. Benzol und Gerüche als Sekundärprodukte bei Verbrennungsprozessen

9.4.1. Fallbeispiel

Der das gesamte Haus heizende, gemauerte Grundofen beginnt etwa 30 Minuten nach dem Beginn des Einheizens Geruchsstoffe an die Raumluft abzugeben. Der Nutzer vermutete eine Schadstoffbelastung der Innenraumluft und ließ eine VOC-Messung durchführen. In der Raumluft wurden unüblich erhöhte Benzol-Konzentrationen (etwa 30 µg/m³) festgestellt, die gleichzeitig durchgeführte sensorische Geruchsbewertung nach DIN ISO 16000-30 zeigte untypische, chemische Gerüche mit mittlerer Intensität.

9.4.2. Hintergrund

Die krebserzeugende Substanz Benzol ist aus Rezepturen von Farben und Lacken völlig verschwunden. Dennoch werden mitunter hohe Konzentrationen dieses Stoffes in Innenräumen nachgewiesen. Wenig bekannt ist, dass Benzol mit seiner relativ einfachen chemischen Struktur bei Wärmeentwicklung als Zersetzungsprodukt aus Kunststoffen sowie bei Verbrennungsprozessen gebildet wird.

Chemische Gerüche und Emissionen flüchtiger Substanzen wie bspw. Benzol entstehen unter anderem bei Erhitzen von Kunststoffen. Werden beispielsweise bei der Errichtung von gemauerten Grundöfen kunststoffarmierte Putze und Bauelemente eingesetzt, kann es zu einer partiellen Zersetzung nach Anheizen des Grundofens kommen – es entsteht Benzol in nicht unbeträchtlichen Konzentrationen (bis zum Wert von 100 µg/m³). Ähnlich verhält es sich bei lackierten Materialien in Ofennähe.

Ein häufige Ursache erhöhter Konzentrationen von Benzol, Formaldehyd, Kohlendioxid (CO2), Stickoxiden und Kohlenmonoxid (CO) sind, wie eine neuere Studie (Tappler et al. 2015) zeigte, auch dekorative Feuerstellen ohne Abzug (Ethanolöfen). Man sollte sich durch die Bezeichnung „Bioethanol“ nicht täuschen lassen – Bioethanol erzeugt exakt die gleichen Schadstoffe in der Innenraumluft wie synthetisches Ethanol.

9.4.3. Abhilfe

Bei Materialien, die Wärme ausgesetzt sind, ist es notwendig, auf jeglichen Kunststoffanteil zu verzichten, um Zersetzungsvorgänge zu vermeiden. Kunststoffe sollten daher weder im Ofenbau verwendet werden noch im unmittelbaren Nahbereich warmer Ofenbauteile vorhanden sein.

Zimmeröfen, bei denen als Brennstoff Ethanol oder alkoholhältige Brennpasten eingesetzt werden, sollten nur bei dauernd geöffneten Fenstern oder bei Betrieb einer mechanischen Lüftungsanlage (Komfortlüftung) mit kurzen Lüftungszyklen eingesetzt werden – ein eher unrealistisches Szenario. Ein allfällig vorhandene Lüftungsanlage muss während des Betriebes des Ofens auf höchster Stufe („Partystellung“) laufen und es ist in kurzen Abständen (bei größeren Öfen mindestens alle 15 Minuten) zusätzlich über Fenster zu lüften. Auch unter diesen Voraussetzungen sind insbesondere bei größeren Öfen Formaldehydkonzentrationen oberhalb des Richtwertes der Akademie der Wissenschaften/BMLFUW und deutlich erhöhte Konzentrationen an Benzol nicht auszuschließen. Nähere Infos gibt das Positionspapier zu Verbrennungsprozessen und Feuerstellen in Innenräumen des österreichischen Umweltministeriums.

9.5. Schimmelgerüche: MVOC bei lang andauerndem Schimmelbefall

9.5.1. Fallbeispiel

In einer frisch renovierten Mietwohnung trat in einem erdberührten Raum ein muffiger Mischgeruch mit einer schimmeltypischen Komponente auf. Es stellte sich heraus, dass die erdberührte Wand mit einer Vorsatzschale versehen war. Bei Inspektion der Rückseite des unmittelbar an der Wand stehenden Schranks wurde makroskopisch sichtbarer Schimmelbefall an der Schrankrückwand festgestellt. Die vor der originären Wand angebrachte Gipskarton-Vorsatzschale war sichtbar durchfeuchtet – bei Öffnung derselben stellte es sich heraus, dass der Hohlraum hinter der Vorsatzschale eine massive Geruchsquelle darstellte.

9.5.2. Hintergrund

Muffige Gerüche oder der eher scharfe Geruch nach Schimmel sind ein untrügliches Zeichen für verdeckten Schimmelbefall – beispielsweise an Schrankrückwänden, bei Verkleidungen oder hinter Vorsatzschalen. Die Gerüche werden sowohl durch im Zuge eines Schimmelschadens auftretende vitale Bakterien als auch durch Schimmelpilze verursacht. Menschen empfinden für Innenräume untypische Gerüche wie das verstärkte Auftreten von MVOC´s mit Recht als Warnsignal, zeigen sie doch eine hygienisch inakzeptable Situation an.

Gipswerkstoffe sind für Gerüche gut durchlässig, im gegenständlichen Fall war von zwei unabhängigen Geruchsquellen – einem Schimmelpilzgeruch aus der Schrankrückwand und einem vermutlich hauptsächlich durch Bakterien verursachten muffigen Geruch aus dem Bereich hinter der Vorsatzschale auszugehen.

9.5.3. Abhilfe

Schimmel benötigt zum Auskeimen und zum Wachstum Feuchtigkeit, man muss sich daher auf die Suche nach der Feuchtequelle machen. Erhöhte Feuchtigkeit kann eine Folge von Wasserschäden, im Mauerwerk aufsteigende bzw. seitlich eintretende Feuchte oder von Kondenswasserbildung (z.B. an Wärmebrücken, Wandbereichen mit ungenügender Luftzirkulation usw.) sein. Sie kann aber auch durch die übliche Raumnutzung bei zu geringem Heizen oder in gut abgedichteten Räumen bei unzureichender Lüftung auftreten.

Die menschliche Nase ist ein guter Indikator für Schimmelgerüche. Um die Quelle dieser unangenehmen Gerüche aufzufinden, müssen unter Umständen Möbel verrückt oder im Einzelfall sogar Bauteile geöffnet werden,. Im Einzelfall helfen auch speziell ausgebildete Schimmelhunde oder spezielle MVOC-Messungen in Hohlräumen. Wenn die Quelle entdeckt ist, müssen die Ursachen für den Befall ermittelt und umgehend beseitigt werden. Akute Wasserschäden sind bautechnisch zu sanieren bzw. ist nach der Schimmelsanierung eine technische Bauteiltrocknung einzuleiten, um ein mögliches neuerliches mikrobielles Wachstum an den betroffenen Bauteilen zu verhindern.

Im „Leitfaden zur Ursachensuche und Sanierung bei Schimmelpilzwachstum in Innenräumen“ des Umweltbundesamtes finden sich Vorgaben zur Sanierung derartiger Schäden.

9.6 Möbelneugeruch als Störfaktor in Innenräumen

9.6.1. Fallbeispiel

Eine alleinstehende Frau leistet sich bei einem kleinen Schreiner eine hochpreisige, maßgefertigte Schlafzimmereinrichtung. Schon in der ersten Nacht fällt der starke Möbelneugeruch in den Räumen auf. Die Gerüche sind auch bei geöffnetem Fenster wahrnehmbar. Vom Schreiner wird beschwichtigt, dass sich die Gerüche innerhalb kurzer Zeit verflüchtigen werden, dies war jedoch trotz intensivem Stoßlüften nicht der Fall. Mit der Zeit traten auch Beschwerden wie Kopfschmerzen und Schleimhautreizungen auf, die von der Nutzerin auf das Schlafzimmer zurückgeführt wurden, da sie bei Nichtnutzung nicht auftraten. Etwa 6 Monate nach Fertigstellung wurde eine Raumluftmessung durchgeführt, die stark erhöhte Konzentrationen an n-Butylacetat zeigten (etwa 800 µg/m³).

9.6.2. Hintergrund

Der klassische stechend-fruchtige Möbelneugeruch war in den Fünfziger-Jahren des vorigen Jahrhunderts oft eine durchaus erwünschte Eigenschaft, die signalisierte, dass man sich (endlich nach den Entbehrungen des Weltkrieges) eine neue Einrichtung leisten konnte. Verursacht wird der Geruch meist durch die Substanz n-Butylacetat, die als Inhaltsstoff für die technischen Eigenschaften von Möbellacken auf Nitrocellulose-Basis bestimmend ist. In der Möbelindustrie werden und wurden diese Lacke bevorzugt verarbeitet, da sie preiswert und leicht zu verarbeiten sind.

Auf Grund des niedrigen Geruchsschwellenwertes von n-Butylacetat (dieser liegt bei wenigen Mikrogramm pro Kubikmeter) ist die Substanz schon bei geringen Konzentrationen wahrnehmbar und wird heutzutage meist als störend empfunden. Lang anhaltende Geruchsbelästigungen treten vor allem dann auf, wenn die erste Lackschicht zu schnell überschichtet wurde und die Emission von Lösemitteln aus der unzureichend getrockneten Grundierung verzögert wird.

Lang andauernde, meist als „chemisch" beschriebene Gerüche werden auch durch Alkydharzlacke erzeugt. Wer glaubt, durch reine Natur zu einem geruchsfreien Innenraum zu kommen, wird mitunter ebenfalls schwer enttäuscht: auch natürliche trocknende Öle können vor allem bei falscher Verarbeitung lang andauernde Gerüche abgeben, die sich mit der Zeit von „angenehm, natürlich“ zur Geruchsqualität „muffig, dumpf“ verändern.

9.6.3. Abhilfe

Wenn Lacke als Möbelbeschichtung gewünscht werden, sollten möglichst wasserhaltige emissions- und lösemittelarme Lacksysteme eingesetzt werden. Diese enthalten deutlich weniger Lösemittel und belasten nur in geringem Umfang die Umwelt und die Gesundheit. Vollholzmöbel oder Möbel aus bestimmten Holzwerkstoffen können auch unbeschichtet bleiben bzw. sparsam geölt und/oder gewachst werden.

9.7. Ist Natur gesund? Holzwerkstoffe und VOC-Emissionen

9.7.1. Fallbeispiel

Der Neubau des lang ersehnten Traumhauses eines ökologisch ausgerichteten Ehepaares mit Tochter wurde nach baubiologischen Prinzipien in Passivhausbauweise mit Komfortlüftung ausgeführt. Die Deckenkonstruktion bestand aus Brettsperrholz mit einer Mittellage aus Kiefernholz. Nach Bezug trat ein für Innenräume untypischer Geruch auf. Formaldehydmessungen zeigten niedrige Werte, die Konzentrationen an Terpen-Kohlenwasserstoffen lagen jedoch in einem stark erhöhten Bereich (zu Beginn etwa 1500 µg/m³ bicyclische Terpene). Als Haupteintrittsweg der Terpene in die Raumluft im Erdgeschoß wurden die zylindrischen Bohrungen für die Deckenspots, die bis in die Mittellage der Brettsperrholzplatte reichten, identifiziert. Im Kinderzimmer im Obergeschoß traten die Terpene über die Randfugen in die Raumluft über. Die Messungen, die in einem Abstand von mehreren Monaten stattfanden, zeigten eine deutliche Abnahme der Konzentrationen, etwa 1,5 Jahre nach Bezug waren allerdings noch immer Konzentrationen deutlich über dem Richtwert I für bicyclische Terpene nachweisbar (0,2 mg/m³).

9.7.2. Hintergrund

Prinzipiell können in Innenräumen produzierte oder aus der Außenluft stammende Luftbestandteile wie Ozon und andere reaktive Verbindungen in der Gasphase oder an Materialoberflächen mit anderen Stoffen reagieren und neue Verbindungen erzeugen. Art und Menge dieser so genannten sekundären Emissionsprodukte sind von den Vorläufersubstanzen und den klimatischen Parametern abhängig. Zahlreiche im Innenraum gebräuchliche Produkte emittieren darüber hinaus herstellungsbedingt reaktive Verbindungen oder Sekundärprodukte. Solche Verbindungen können schon in niedrigen Konzentrationen durch ihre Geruchsintensität oder ihre irritative Wirkung das menschliche Wohlbefinden negativ beeinflussen.

Im Regelfall ist die Anwendung von Naturmaterialien bzw. traditionellen Konstruktionen mit keinen wie immer gearteten Raumluftproblemen oder gesundheitlichen Risiken verbunden. In ungünstigen Fällen können natürliche Baustoffe jedoch auch raumlufthygienische Probleme aufwerfen, wie beispielsweise bei Holzwerkstoffen. Es scheinen gerade diejenigen Personen am meisten auf Naturstoffe zu reagieren, die auch gegenüber synthetischen Chemikalien und klassischen Allergenen empfindlich sind – MCS-Patienten, Allergiker und Personen mit vorgeschädigtem Immunsystem.

Holz als Naturstoff emittiert abhängig von Art, Lage des Baumes und Lage des Werkstoffs innerhalb des Stamms unterschiedliche Mengen an Aldehyden und Terpen-Kohlenwasserstoffen (vor allem Pinene). Holzarten wie Kiefer oder Zirbe geben verglichen mit Fichte und Tanne deutlich höhere Mengen ab. Bei Brettsperrholzplatten als Wandbaustoff wird häufig Kiefernholz eingesetzt – in den ersten Monaten ist daher in dem Fall eine beträchtliche Abgabe an Terpenen und Aldehyden zu erwarten.

Informationen zum Richtwert für bicyclische Terpenkohlenwasserstoffe für Innenräume findet man in einer Publikation des „Ausschusses für Innenraumrichtwerte“ (ehemalige Ad-Hoc Arbeitsgruppe).

9.7.3. Abhilfe

Im konkreten Fall war die vorhandene mechanische Lüftungsanlage nicht in der Lage, die aus dem Holzwerkstoff abgegebenen Raumluftinhaltsstoffe ausreichend abzuführen – es ist daher vor allem die Quellstärke zu reduzieren. Dies kann durch Versiegeln von offenem Hirnholz und Abdichtmaßnahmen geschehen, was zu einer Verbesserung der Situation beiträgt. Bei Planung von Gebäuden ist darauf zu achten, dass für Wände und Decken von Innenräumen eingesetzte Brettsperrholzplatten frei von Kieferholz sind.

9.8. Polystyrolprodukte und Styrolgerüche

9.8.1. Fallbeispiel

Eine Familie bezieht ein neues Gebäude, in dem die Trittschalldämmung mit Polystyrolprodukten ausgeführt wurde. Auf Grund von Presseberichten und gesundheitlicher Bedenken der Nutzer wurde eine Raumluftmessung durchgeführt, bei der Styrol im Bereich des Richtwertes I (0,03 mg/m³) und deutlich unter dem mittleren Geruchsschwellenwert (> 0,2 mg/m³) nachgewiesen wurde. Es stellte sich die Frage, ob Handlungsbedarf besteht – es wurde verstärktes Lüften der Räume empfohlen. Nach einigen Wochen sank die Konzentration unter den Wert von 0,01 µg/m³.

9.8.2. Hintergrund

Styrol dient zur Herstellung von Polystyrol und von Copolymeren wie ABS-, BS-, und SAN-Kunststoffen (A bzw. AN = Acrylnitril, B = Butadien) sowie als Lösungsmittel und Reaktionspartner für ungesättigte Polyesterharze und -lacke. Die bekannteste Anwendung von Polystyrol im Baubereich sind Schaumstoffdämmplatten für Wärmedämmungen und für den Fußbodenbereich. Polyester wird im Sanierungsfall für Feuchteabdichtungen in Gebäuden eingesetzt.

Messungen zeigen, dass durch in der Fußbodenkonstruktion eingesetzte Styrolprodukte (Plattenwerkstoffe, Polystyrolbeton) nach der Verlegung zu Beginn geringfügig erhöhte Styrolkonzentrationen in der Innenraumluft entstehen können, die aber nach kurzer Zeit auf deutlich niedrigere Werte absinken. Schaumstoffdämmplatten für Wärmedämmungen im Fassadenbereich sind von der Innenraumluft durch die meist massive Wand oder durch Dampf- und Windsperren getrennt. In Einzelfällen konnte dennoch nachgewiesen werden, dass Styrol auch durch eine undichte Gebäudehülle aus Quellen im Außenraum in die Innenraumluft eintreten kann, eine maßgebliche Beeinflussung der Innenraumluft ist allerdings in der Regel nicht zu erwarten.

Langanhaltende Styrol-Emissionen wurden bei falsch durchmischten Feuchteabdichtungen auf Polyesterbasis festgestellt. Wenn derartige zweikomponentige, Styrol enthaltende Kunstharze zur Feuchteabdichtung nicht aushärten, sind auch noch nach Jahren erhöhte Konzentrationen in der Raumluft möglich.

Informationen zu den Richtwerten für Styrol für Innenräume findet man in einer Publikation des „Ausschusses für Innenraumrichtwerte“ (ehemalige Ad-Hoc Arbeitsgruppe).

9.8.3. Abhilfe

Hygienische Risiken entstehen durch übliche am Bau eingesetzte Polystyrolprodukte in der Regel nicht, es gibt daher keinen Handlungsbedarf. Bei dichten Gebäuden ist auch kein relevanter, länger andauernder Eintritt von Styrol aus Fassadendämmungen zu erwarten. Wer auch die am Beginn der Nutzung auftretenden, eher geringen Konzentrationen aus im Fußbodenbereich eingesetzten Plattenwerkstoffen oder Polystyrolbeton vermeiden möchte, kann andere Materialien für die Trittschalldämmung wählen.

Feuchteabdichtungen auf Polyesterbasis müssen fachgerecht verarbeitet werden (richtige Mischung der Einzelkomponenten), um länger andauernde Styrolemissionen zu vermeiden. Bei Auftreten des typischen, oft als chemisch bezeichneten Styrolgeruches ist in der Regel eine Raumluftmessung zur Abklärung der Situation sinnvoll.


Auszug aus:
"Schadstoffprobleme im Innenraum" von DI Peter Tappler, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, Arbeitskreis Innenraumluft am BMLFUW (österreichisches Umweltministerium), Mitglied der Innenraumluft-Hygiekommission des Umweltbundesamtes, IBO-Innenraumanalytik OG

Inhaltsverzeichnis

Auftreten, Eigenschaften
Was ist gesunde Raumluft?
Was ist ein „Innenraum“?

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Gesundheitliche Bedeutung von Schadstoffen im Innenraum
Grenz- und Richtwerte für Schadstoffe im Innenraum

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Die wichtigsten flüchtigen Stoffe in der Innenraumluft
Was sind die Hauptverursacher an flüchtigen Stoffen?

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Die Problematik der tieferen Bauteilschichten – interzonaler  Massentransfer

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Fallbeispiele mit Vermeidungsstrategien

... → siehe oben.

Literatur

Weiterführende Dokumente, zitierte Quellen ... → mehr