Holzwerkstoffe als Quelle für Formaldehyd im Innenraum

Die (EU) ist mit 3,6 Mio. t. jährlich der zweitgrößte Produzent von Formaldehyd hinter Asien. Das entspricht etwa 30% der weltweiten Produktion. Deutschland ist in der EU der größte Hersteller von Formaldehyd, gefolgt von Italien, Spanien, den Niederlanden und Großbritannien. Ein Großteil des synthetisierten Formaldehyds wird zur Produktion von Leimen und Tränkharzen für Holzwerkstoffe verbraucht. Leimharze werden zur Herstel­lung von Spanplatten, Sperrholz-, Tischlerplatten, MDF-, OSB- und Schalungsplatten, aber auch für statisch tragende Holzbauteile wie Brettschichtholz und Brettsperrholz verwendet. Mit Tränkharzen werden Papiere imprägniert, die als Dekor auf Holzwerkstoffe aufgebracht werden.

In Europa ist Deutschland der bedeutendste Produzent von Holzwerkstoffen. Allein im Jahr 2011 wurden hierzulande 10,5 Mio. t Holzwerkstoffe hergestellt. Darunter ist vor allem die Spanplattenindustrie mit einer Produktionsmenge von rund 5,6 Mio. m³als wichtigste Branche zu nennen (Statistisches Bundesamt 2012). Die für die Spanplatten­produktion genutzten Holzspäne werden zum größten Teil von den Sägewerken bezogen. Die deutsche Spanplattenindustrie setzt aber auch durchschnittlich 30 % Holzspäne aus recyceltem Altholz ein. Manche Spanplatten werden komplett aus recyceltem Altholz hergestellt. Verwertungsmöglichkeiten für Althölzer sowie die Anforderungen an eine schadlose Verwertung sind durch die Altholzverordnung (AltholzV) geregelt. Die Einsatz­gebiete der Spanplatten sind vor allem der Baubereich und die Möbelindustrie.

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 siehe auch Weitere Quellen für Formaldehyd im Innenraum

Leimarten und Formaldehyd-Abgabe

Bei den formaldehydhaltigen Leimen und Tränkharzen lassen sich folgende Typen unter­scheiden:

  • Harnstoff-Formaldehyd (UF [6])
  • Melamin-Formaldehyd (MF [7])
  • Melamin-Harnstoff-Formaldehyd (MUF)
  • Melamin-Harnstoff-Phenol-Formaldehyd (MUPF [8])
  • Phenol-Formaldehyd (PF [9])

Die UF-, MF- und MUF-Harze werden unter dem Begriff Aminoplaste zusammengefasst.

Der mit Abstand größte Teil der Holzwerkstoffe wird mit Harnstoff-Formaldehyd-Harzen gebunden. Bei den Spanplatten sind es in Europa mehr als 90 % [VHI 2010]. UF-Harze sind kostengünstige, farblose Klebstoffe und weisen eine hohe Reaktivität auf. Die chemische Bindung beim Aushärten der UF-Harze erfolgt unter Abspaltung von Wasser. Diese Reaktion ist eine Gleichgewichtsreaktion. Das bedeutet, dass die Umkehrreaktion unter Freisetzung von Formaldehyd eintritt, wenn das ausgehärtete Harz die Möglichkeit hat wieder Feuchtigkeit aufzunehmen. Ein charakteristisches Merkmal der UF-Harze ist somit deren geringe Feuchtebeständigkeit. Diese Eigenschaft wurde auf tragische Weise deutlich beim Einsturz des schneebedeckten Daches der Eissporthalle in Bad Reichenhall am 2.1.2006. In den Jahren nach der Inbetriebnahme der Halle hatte die fortwährende Feuchtigkeitsbeanspruchung auf die unzulässigerweise mit UF-Harzen ausgeführten Leimverbindungen der Holzdachkonstruktion dazu geführt, dass die Festigkeit der Klebe­verbindungen ständig abnahm und sich damit die ohnehin zu geringe Tragfähigkeit der Dachkonstruktion mit den Jahren immer weiter verringerte.

Für feuchtebeständigere Verleimungen werden MUF-Harze eingesetzt. Reine MF-Harze sind vergleichsweise teuer und werden daher nur als Beschichtungsmaterialien, nicht aber als Klebstoffe verwendet.

Klebstoffe sowohl mit sehr hoher thermischer wie auch hydrolytischer Beständigkeit sind die PF-Harze. PF-gebundene Holzwerkstoffe werden hauptsächlich für feuchtegefährdete Bauteile eingesetzt.

Die Verwendung von Aminoplastharzen (UF, MF, MUF) kann zu kritischen Formaldehyd-Emissionen aus den entsprechenden Holzwerkstoffen führen. Ursache ist die Hydrolyse­empfindlichkeit dieser Harze. Bereits unter dem Einfluss von normaler Luftfeuchtigkeit kommt es zu einer Rückspaltung der Harze und damit zur Freisetzung von Formaldehyd. Zwar nimmt die Formaldehydabgabe der Holzwerkstoffe infolge von Alterungseffekten mit der Zeit deutlich ab. Grundsätzlich können bei Holzwerkstoffen mit UF-, MF- und MUF-Leimen aber auch noch Jahrzehnte nach dem Einbau nicht unerhebliche Formaldehyd-Emissionen auftreten. Dies macht sich in der Innenraumluft besonders dann bemerkbar, wenn derart verleimte Holzwerkstoffe großflächig verbaut wurden (z. B. in Pavillon-Bauten).

Das Umweltbundesamt ließ für eine 2007 veröffentlichte Studie 50 verschiedene Baupro­dukte in Emissions-Prüfkammern untersuchen. Dabei war festzustellen, dass Formalde­hyd 28 Tage nach Einbringen der Prüfstücke in die Kammer noch von fast der Hälfte der untersuchten Produkte emittiert wurde, mit einem Maximalwert von 165 µg/m³. Aus den Untersuchungen ging zudem hervor, dass OSB-Platten unter den Holzwerkstoffen die höchsten Formaldehyd-Emissionen aufweisen. Zwar wurden die Anforderungen für das Inverkehrbringen (0,1 ppm gem. Chemikalien-Verbotsverordnung) von den untersuchten Platten erfüllt. Nach 10 Tagen betrugen die Formaldehyd-Emissionen aber noch bis zu 100 µg/m³ [UBA 2007].

Geschlitzte bzw. genutete Akustikplatten

Wegen ihres hohen Schall-Absorptionsvermögens und ihrer Holzanmutung werden für akustische Zwecke vielfach gelochte oder geschlitzte Platten auf Basis von Holzwerk­stoffen, insbesondere MDF, verwendet. Solche Platten sind meist mit Echtholzfurnier oder Melaminharzdekor versehen. Durch das Lochen bzw. Nuten kommt es zu einer erheb­lichen Oberflächenvergrößerung der Platten, wodurch sich zwangsläufig auch deren Emissionsverhalten erheblich verändert.

Dazu ein Praxisbeispiel: Wird eine 16 mm starke Platte pro m² mit 3.900 Löchern mit einem Durchmesser von 10 mm versehen, ergibt sich daraus eine Vergrößerung der emissionswirksamen Oberfläche um ca. 1,7 m². Für den Fall, dass der Hersteller der Akustikplatte eine Aminoplast-verleimte Holzwerkstoffplatte eingekauft hatte, welche die E1-Anforderung nur knapp einhält, ist bei der nachträglich gelochten Platte mit einer Formaldehyd-Emission erheblich über dem zulässigen Grenzwert von 0,1 ppm zu rechnen. Selbst wenn die Ausgangsplatte die E1-Anforderung um 50 % unterschreitet (z. B. entsprechend der Anforderung Blauer Engel) ist davon auszugehen, dass die gelochte Platte unter Anlegung des E1-Maßstabs nicht in den Verkehr gebracht werden dürfte. Daraus folgt, dass gerade für Akustikplatten auf Basis von Holzwerkstoffen möglichst nur formaldehydfreie Ausgangswerkstoffe verwendet werden sollten.

Möbel

Die große Nachfrage der Möbelindustrie nach aminoplastverleimten Holzwerkstoffen führt dazu, dass auch von Möbeln immer noch erhebliche Mengen Formaldehyd emittiert werden. Die Ergebnisse des vom Umweltbundesamt durchgeführten Kinder-Umwelt-Survey 2003 - 2006 zeigen, dass die mittlere Formaldehyd-Konzentration in der Innen­raumluft von Kinderzimmern mit viel Möbeln aus Spanplatten um 40 % höher ist als diejenige in Kinderzimmern ohne Möbel aus Spanplatten [Kolossa-Gehring 2006].

Formaldehydfänger

Durch Zusatz sogenannter Formaldehydfänger bei der Produktion von Holzwerkstoff­platten kann eine Verringerung der Formaldehyd-Emissionen trotz Verwendung vergleichsweise formaldehydreicher Aminoplastharze erreicht werden. Geeignete Form­aldehydfänger sind insbesondere Harnstoff, Harnstoff-Derivate und Polyamine. Die Formaldehydfänger können entweder bereits den Holzhackschnitzeln vor dem thermo-mechanischen Aufschluss oder später bei der Plattenherstellung dem Trockenspan oder der Leimflotte zugesetzt werden. Ethylenharnstoff wird als Formaldehydfänger in transpa­renten Beschichtungsfolien für Möbel und in weiteren Anwendungen der Bauchemie und der Textilindustrie eingesetzt.

Formaldehydfreie Leime

Würden für Holzwerkstoffe nur noch formaldehydfreie Leime eingesetzt, wäre die Form­aldehyd-Problematik in Innenräumen weitestgehend erledigt. Tatsächlich sind Alternativen zu den formaldehydbasierten Leimen nicht nur verfügbar, sondern auch technisch ausge­reift.

Neben den Formaldehyd-basierten Leimen werden für Holzwerkstoffe zunehmend Iso­cyanat-basierte Reaktivklebstoffe (PMDI) eingesetzt. Derart verleimte Platten gelten als formaldehydfrei. PMDI wird zunehmend für Laminate und – wegen der hohen Anforderun­gen an die Formaldehyd-Emission – für den japanischen Markt verwendet, wo es sehr strenge Grenzwerte gibt. Für OSB-Platten wird auch in Deutschland zunehmend PMDI-Leim verwendet. PMDI-Leim ist allerdings teurer als die formaldehydbasierten Aminoplast-Leime.

Auch mit Polyvinylacetat-Klebstoffen (PVAc) lassen sich formaldehydfreie Holzwerkstoffe herstellen. PVAc-Leime werden aber praktisch nur für die Herstellung von Stabsperrholz und bei Flächenverleimungen von Furnieren und Folien eingesetzt. Bei PVAc-verleimten Produkten ist allerdings auf Emissionen des Monomers Vinylacetat zu achten, das als krebsverdächtig gilt (DFG: MAK- und BAT-Werte-Liste 2016).

[6] UF = Urea-Formaldehyde = Harnstoff-Formaldehyd

[7] MF = Melamin-Formaldehyd

[8] MUPF = Melamin-Harnstoff-Phenol-Formaldehyd

[9] PF = Phenol-Formaldehyd

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Auszug aus:
Formaldehyd - Eigenschaften, Verwendung, Regelungen, Sanierung -, Dr. Gerd Zwiener, Sachverständigen Büro Dr. Zwiener, erstellt im Auftrag der Bayerischen Architektenkammer, 2015

Inhaltsverzeichnis

Formaldehyd - Eigenschaften

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Gesundheitliche Bedeutung - Innenraum-Richtwerte

Welche Wirkung hat Formaldehyd und wie wird es aufgenommen? Welche Richtwerte gelten und wie werden sie angegeben?
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Erkenntnisprozess zur Toxizität von Formaldehyd - von 1980 bis heute
Darstellung wichtiger Stationen des Erkenntnisprozesses zur Toxizität von Formaldehyd sowie die Entscheidungen deutscher und internationaler Behörden zur tolerablen Innenraumluft-Konzentration. ... → mehr

Gefahrstoffrecht

Arbeitsplatz-Grenzwerte und Einstufung
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Verwendung - Quellen für Formaldehyd im Innenraum

Holzwerkstoffe

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  • geschlitzte bzw. genutete Akustikplatten
  • Möbel
  • Formaldehydfänger
  • Formaldehydfreie Leime

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Weitere Quellen für Formaldehyd im Innenraum

  • Schaum-Dämmplatten, Ortschaum
  • Anstrichmittel auf wässriger Basis und säurehärtende Lacke (SH-Lacke)
  • Mineralwolle-Dämmstoffe
  • Klebstoffe
  • Glasfaser-Vliese
  • Betonzusatzmittel
  • Formaldehyd in naturbelassenem Holz?

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Regelungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen

  • Gesetzliche Regelungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen (Deutschland, EU)

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  • Das französische VOC-Label

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  • Freiwillige Vereinbarungen zur Formaldehydabgabe von Holzwerkstoffen – Label

Blauer Engel, Österreichisches Umweltzeichen, natureplus-Label, Goldenes M
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Belastung der Innenraumluft

Trends, Beispielmessungen, mögliche Ursachen und Abhängigkeiten
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Raumluftmessungen

Voraussetzungen und Durchführung
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Sanierung formaldehydbelasteter Innenräume

  • Entfernen der Emissionsquelle
  • Abdichten der Emissionsquelle
  • Chemische Bindung des Formaldehyds
  • Sanierung mit Zimmerpflanzen?

... → siehe oben

Literatur

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